SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann, auf einmal, da spürt man nichts als sie. Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen... So singt die Marschallin im Rosenkavalier. Sie fließe, lautlos, wie eine Sanduhr, heißt es im Text von Hugo von Hofmannsthal. Manchmal höre man sie aber fließen - unaufhaltsam. Im Rosenkavalier wird so der unaufhaltsame Abschied von einer Liebesgeschichte vorbereitet. Bei jedem Abschied spürt man die Zeit, oft schmerzhaft. Wenn man zum Beispiel durch Alter oder Krankheit hinter sich lassen muss, was bisher selbstverständlich war, tut es weh. Am meisten, wenn man den Menschen, mit dem man ein Leben lang verbunden war, hergeben muss. Aber schon wenn Liebende sich nur kurze Zeit trennen müssen, kann der Abschied schwer fallen, weil sie sich jeden Tag vermissen. Wie lange kann da auch eine kurze Zeit werden!
Beim Abschied von seinen Jüngern spricht Jesus von einer kleinen Weile, in der sie sich verlassen vorkommen, ratlos und unendlich traurig sein werden. Wieder nach einer kleinen Weile werden sie Jesus aber wieder begegnen, und ihre verzweifelte Traurigkeit wird sich in Freude verwandeln. Die Jünger verstehen Jesus nicht. Wie sollen wir das verstehen? Unsere ganze Lebenszeit ist doch gefüllt mit Abschieden, die wehtun. Schmerzen und Leid hören nie auf. Es wird so bleiben bis an das Ende unseres Lebens. Und das ist doch dann keine kleine Weile, sondern eine lange Zeit.
Am Ende des Lieds der Marschallin heißt es, man müsse die Zeit dennoch nicht fürchten. Auch sie ist ein Geschöpf des Vaters, der uns erschaffen hat. Ist also das Fließen der Zeit, in dem wir fort getragen werden zu immer neuem Schmerz, einfach der Wille des Schöpfers? Aber wie soll uns das trösten? Und wie kann man es mit Jesu Verheißung zusammenbringen, dass nach kurzer Zeit Traurigkeit und Schmerzen in Freude verwandelt werden? Er verspricht seinen Jüngern, dass er ihnen in Kürze, und das heißt nach seinem Tod und seiner Auferstehung, begegnen will. Auch für Christen bedeutet Jesu Versprechen also: In der Erfahrung der Zeit mit allem, was sie uns bringt, will er bei uns sein - alle Tage, bis an das Ende unserer Zeit, ja bis an das Ende der Welt. Weil uns dies immer neu zugesagt wird, muss es beim Abschiedsschmerz, bei Traurigkeit und Verzweiflung nicht bleiben. Immer neu müssen sie der Zuversicht und  der Freude weichen, dem Vertrauen, dass wir mit unserer Zeit in Gottes Händen sind.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10684
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