SWR3 Gedanken

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Pferdeflüsterer. Das sind Leute, die kranke Pferde heilen.
Einfach durch die Art, wie sie ihnen begegnen. Einmal hab ich so einen Pferdeflüsterer bei der Arbeit gesehen. Toll. Da hab ich gedacht:
Genau so ist das mit der Liebe. So funktioniert es, dieses Wunder:
Wenn zwei Menschen, so frei und stolz wie zwei Wildpferde, sich ganz frei aneinander binden.
Der Pferdeflüsterer hat eine Art Zirkusarena mit einem Zaun abgegrenzt. Das Pferd war nämlich völlig durchgedreht. Ist immer im Kreis herum gerast. Noch nie hat es einen Sattel auf sich liegen gehabt.
Der Pferdeflüsterer geht also forsch auf das Pferd zu und jagt es weg.
„Du sollst vor mir abhauen," heißt das. „Es ist ganz in Ordnung, dass du vor mir Angst hast. Lauf weg."

Nach einer Weile bleibt das Pferd stehen. Wird neugierig. Geht ein paar Schritte auf den Mann zu. Jetzt läuft der Mann vor dem Pferd weg.
„ Du bist so stark," heißt das. „Ich muss mich vor dir in Acht nehmen. Ich laufe weg, weil ich dich respektiere."
Das aber lockt das Pferd noch mehr heran. Nach einer Weile bleibt Mann stehen. Läßt das Pferd näher kommen. Das streckt dem Mann schließlich seinen Kopf entgegen. Es kommt zur ersten Berührung. Aber wie!
Der Mann streichelt den Pferdekopf, schaut aber dabei auf den Boden. „Ich schau dir nicht in die Augen, heißt das. Weil ich dich nicht beherrschen will, wenn ich dir nah komme."
Das Pferd wird ganz ruhig. Lässt sich berühren. Lässt sich sogar einen Sattel auflegen.
Was für zartes Spiel von hin und her, von Näherkommen und auf Abstand gehen. Was für eine Philosophie:
„Alles ist möglich,"  sagt der Pferdeflüsterer, „wenn ich der Versuchung widerstehe, zu herrschen oder zu zwingen.
So ist das mir der Liebe. Eine unmögliche Möglichkeit.
Weil man einander die Freiheit lässt, ist die Bindung so groß und innig.

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