SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Die Menschen in New Yorks Straßen jubeln und singen: Bin Laden ist tot. Jetzt ist Gerechtigkeit. Sagen sie und der amerikanische Präsident und unsere Bundeskanzlerin. Gerechtigkeit!
In der Diskussion bei Anne Will haben Völkerrechtler, Juristen, Journalisten und sogar ein Philosoph darüber diskutiert: Darf man das, einen Topterroristen einfach so töten? Ja oder nein? Sie können sich nicht einigen.
Dann aber redet ein Betroffener. Er hat seine Schwester beim Terroranschlag auf das World Trade Center verloren. Ob er sich freut?
„Im ersten Moment, meint er, schon. Aber Gerechtigkeit?" Jetzt kriegt er einen roten Kopf, seine Stimme bebt und es wird still im Studio. „Nichts, gar nichts haben wir erreicht. Wir sind wie Leute mit Lungenkrebs, die operiert worden sind. Wir rauchen weiter und wundern uns, dass es nicht besser wird mit uns."
Wir- damit meint er auch sich selber. Wir, die Menschheitsfamilie. Wir haben den Krebs des Terrorismus. Bin Laden ist nur das Symptom. Die Ursache aber liegt wo anders. Zum Beispiel im Gefälle zwischen den armen und den reichen Ländern. Zum Beispiel in der Demütigung der Menschen, zu sehen, wie die reichen Länder von der Armut profitieren und Unterdrücker hofieren. Bin Laden hat Verbrechen begangen. Aber die Ungerechtigkeit, auf die er aufmerksam machen wollte, da ist nichts passiert.
Sagt der Mann im Studio bei Anne Will. Er darf das sagen, denken alle, er hat seine Schwester verloren.
Gerechtigkeit- für ihn ist das nicht der Tod von Bin Laden. Gerechtigkeit ist, wenn die Bin Ladens, die noch leben, keinen Grund mehr finden, weshalb sie bomben müssten. Wenn die westlichen Länder sich auf den Weg der Gerechtigkeit machen.
Beim Propheten Amos in der Bibel sagt Gott: „Tut weg von mir das Geplärr eurer Lieder, ich mag das Harfenspiel nicht hören. Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach."

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