Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Wiesenschaumkraut - Himmelschlüssel - Veilchen - Gänseblümchen - jede Art von Grünzeug musste im Mai herhalten. Als Kinder haben wir im Marienmonat zu Ehren der Muttergottes einen kleinen Altar gebaut mit Blumen und Kerzen und einem Kreuz. Angesichts der überwältigenden Fülle an Sträuchern und Blumen war es fast schwer, sich zu beschränken: aber irgendwann war der Tisch voll mit Vasen und Kerzen und es sah wunderschön aus, ich sehe es bis heute vor meinem geistigen Auge. Meine Lieblinge waren die Tränenden Herzen: Schwarzer Zweig, daran hängt eine blassrosa Blüte in Herzform mit einem kleinen weißen Tropfen. Vor kurzem habe ich erfahren: auf französisch heißt es Coeur de Marie: Herz Mariens. Noch schöner. Es erinnert an die Tränen der Mutter Jesu über ihren verstorbenen Sohn. Und mich erinnert es heute an die Tränen aller Mütter (und Väter) über ihre verstorbenen Kinder. Sei es das tot geborene, sei es das Kind, das einem Verkehrsunfall zum Opfer fiel. Kinder sterben an Krebs, sie werden überfallen, sie kommen bei einem Amoklauf ums Leben, bei einem Tsunami und im Krieg. Wir trauern um jeden Toten, aber es berührt uns besonders, wenn Kinder ums Leben kommen, da ist für unser Gefühl so viel ungelebtes Leben, das nicht zur Entfaltung kommen kann. Schmerz und Trauer stehen - nicht nur am Maialtärchen - unverbunden neben der überschäumenden Kraft der Natur, neben dieser Lebensfreude, die uns überwältigt. Unverbunden - aber es wirkt doch aufeinander ein. In der Schönheit der tränenden Herzen ist eine Erinnerung an die Trauer um die Verstorbenen. Und in unsere Trauer hinein sagt die Auferstehung in der Natur im Frühling: sei nicht ganz ohne Hoffnung, aus dem toten Holz kommt wunderbares neues Leben, vielleicht auch in dir.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10587
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