SWR2 Wort zum Tag

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»Einen Gott, den „es gibt" - gibt es nicht.«* Ich erinnere mich noch gut, wie ich als Schüler diesen Satz zum ersten Mal gehört habe.
Da war ich hinterher einigermaßen durcheinander. Das ist doch ein widersinniger Gedanke! »Einen Gott, den „es gibt" - gibt es nicht.« Mir wurde damals gesagt, der stamme von Dietrich Bonhoeffer und der sei äußerst ehrlich mit Fragen des Glaubens umgegangen.
Aber ist das nicht nur ein gewagtes Wortspiel? Oder steckt doch mehr dahinter?
Vor nicht langer Zeit hat sich mir das Bonhoeffer Wort neu erschlossen.
Bei einem Gespräch zur Vorbereitung der Taufe eines Kindes, hat mich der Vater auf den Kopf zu gefragt: „Und Sie glauben wirklich, dass es einen Gott gibt?" Gefolgt von einer zweiten: „Sie haben doch studiert - an der Universität - , bevor Sie Pfarrer geworden sind - oder?"  Er wollte mir wohl damit bedeuten: Irgendwie sind Sie doch mit Wissenschaft in Berührung gekommen. Wie geht denn das zusammen? Das kann doch nicht ihr Ernst sein?
Da kam mir Bonhoeffers Wort urplötzlich wieder in den Sinn. »Einen Gott, den „es gibt" - gibt es nicht.« Bonhoeffer hatte diesen Gedanken als 25 Jahre junger Theologe aufgeschrieben - und war damit auf der Höhe seiner Zeit. Hinter Weltanschauungen, die mit dem Anspruch auftraten, die Welt objektiv zu beschreiben, machte man damals immer häufiger Fragezeichen. Ein Denken bekam Bedeutung, das personalen Beziehungen den Vorzug gab. Auch in Bezug auf Gott.
Ich habe nicht mit Bonhoeffers steilem Wort reagiert. Das schien mir zu abstrakt, zu vertrackt.
Und doch stand im Hintergrund unseres weiteren Gesprächs genau Bonhoeffers Entdeckung:
Einen Gott - der von uns Menschern objektiv erkennbar und beschreibbar ist - einen, den es in Anführungszeichen „gibt", der berührt mich nicht, den will ich auch gar nicht kennen, der schwebt fernab meiner Lebenswelt.
Darüber haben wir dann gesprochen - vor der Taufe des Kindes.
Was das nämlich mit mir macht:
Wenn ich mir die Welt nicht nur als ein naturwissenschaftlich zu durchdringendes Phänomen vorstelle, sondern als von Gott erschaffen, in dem alle Kreaturen Mitgeschöpfe sind.
Wenn ich mein Leben und das meiner Kinder nicht nur als Ergebnis biologischer Gesetze ansehe.
Wenn ich Gott nicht erforsche, sondern mich anreden lasse.
Wenn Gott mir ein Gegenüber wird, mir nahe kommt.
Dann ist Gott nicht mehr einer, den „es gibt".
Dann berührt mich Gott. Dann entsteht eine Beziehung.
Womöglich eine so enge, dass ich zu ihm beten mag: „Vater unser im Himmel..."

*Der Satz »Einen Gott, den „es gibt", gibt es nicht« findet sich in BonhoeffersHabilitationsschrift von 1929: Akt und Sein, Transzendentalphilosophie und Ontologie in der systematischen Theologie, München 1956, S.94 / = DBW 2, S.112.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10573
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