SWR3 Gedanken

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Sie hat sich Hals über Kopf aus dem Staub gemacht. Ist geflohen, vor der Wirklichkeit und vor sich selbst. Wo sie hin will weiß sie eigentlich nicht. Nur eines ist ihr völlig klar: Zurückgehen kann sie nicht. Unmöglich! Ora heißt die Heldin in einem Roman des israelischen Schriftstellers David Grossman. Ihr Sohn ist Soldat und sie will einfach nicht da sein, falls seine Kameraden kommen. Kommen, um ihr womöglich schlimme Nachrichten von ihrem Sohn zu überbringen. Unterwegs sein, das ist jetzt ihre Überlebensstrategie.

Gründe, sich auf einen Weg zu machen, gibt es viele: eine Reise, eine Flucht,  eine Suche. Manchmal vielleicht alles zusammen. Bei der Romanheldin Ora ist das so. Aber auch bei den Beiden aus der Bibel, die sich nach dem Tod Jesu auf den Weg gemacht haben. Bloß weg von dem Ort, an dem ihr Freund ums Leben kam. Einen Tagesmarsch wollten sie machen, nach Emmaus, einem kleinen Dorf in der Nähe. Auf dem Weg dorthin aber beginnt die Auseinandersetzung mit dem Erlebten. Erst jetzt begreifen sie nach und nach, was da geschehen ist. Je weiter der Weg sie führt, ihrem Ziel entgegen, desto mehr Einsichten und neue Perspektiven brechen in ihnen auf. Am Ende angekommen, gehen ihnen dann die Augen auf, wie es heißt.

Der Romanheldin Ora ergeht es ähnlich: Je weiter sie läuft, desto mehr entdeckt sie über sich selbst, Schmerzliches und Tröstendes. Und je mehr sie entdeckt, umso stärker wird sie. Sich aufmachen, um letztlich bei sich selber anzukommen. Nicht der Weg, ich selbst bin das Ziel! Man muss nur bereit sein, sich überhaupt auf einen Weg zu machen.

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