Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Irgendwie bin ich ungelegen gekommen.
Mit meinem Besuch hat er nicht gerechnet. Das habe ich gleich gespürt. Ich stehe da, wie so ein Vertreter für Schmierseife und Schnürsenkel und höre, wie einer sagt: Wir kaufen nix!
Aber weil der Mann ein höflicher Mensch eben dem Pfarrer jetzt nicht vor den Kopf stoßen will, läßt er mich rein. Wir waren zwar verabredet, aber irgendwie hatten sie s vergessen.
Seine Frau mit Baby war zur Oma gefahren und er allein zuhaus -und das nicht ungern.
Und nun stehe ich da und will über die Taufe von seinem Kind reden.
O Gott! Na dann kommen Sie mal rein, sagt er mit Spassfaktor Null im Gesicht. Und jetzt sitzen wir uns gegenüber  einigermaßen verlegen im Wohnzimmer. Ich umständlich mit meinen Formularen hantierend und irgendwie unpassenden Fragen im Kopf und er mir gegenüber, merkwürdig abwesend.
Auf einmal kommt da ein Piepton und er springt auf, verschwindet im Nebenzimmer, bleibt eine Weile dort, kommt Hände reibend zurück und nimmt wieder Platz.
Aber er sitzt so wie auf dem Sprung, seltsam angespannt. Dann wieder, dieser Ton, er raus aus dem Zimmer, verschwindet, kommt zurück, setzt sich wieder und lächelt mich an.
„Sie fragen sich bestimmt, was ich da mache..."sagt er fürsorglich.
„Und ob!" - antwortet ich ihm. „Sie sind irgendwie auf der Flucht -oder was machen Sie da andauernd nebenan...?"Jetzt fängt er an zu und ich spüre plötzlich wie sich aller Vorbehalt und jede Distanz lockert.
„Wissen Sie, ich spiele Schach und am Wochenende ist ein Turnier. Ich bin mitten im Training. Und jedes Mal, wenn der Computer piept, hat er einen Zug gemacht und ich bin dran. Verstehen Sie?" Ich verstehe.
Ich habe ihn also mitten in einem Trainingsspiel gestört. Wieder piepst es und er sagt: Moment mal, verschwindet wieder und kommt zurück mit triumphalem Lächeln. „Ich glaub, jetzt hab ich ihn so weit." „Sie gewinnen?" Frage ich. „Kann sein!" sagt er.
Ich beschließe, zu gehen und nicht länger Spielverderber zu sein.
Außerdem habe ich alles, was ich brauche für die Taufe.
Am Taufsonntag sind sie dann alle da, die ganze Verwandtschaft, hören ganz aufmerksam zu. Und ich erkläre die Taufe ungefähr so:
Durch die Taufe eröffnet Gott unsere Begegnung mit einem feinen Zug.
Er macht uns eine Liebeserklärung und stellt sich auf uns ein. Und jetzt sind wir dran. Es ist wie im Schach:
Jede Begegnung lebt davon, dass einer reagiert. Auch auf Gott. Zug um Zug. Wer nicht reagiert, setzt sich selber schachmatt. Als Getaufte sind wir alle am Zug. Gott wartet auf unsere Antwort. Haben Sie auch gerade diesen Piepton gehört?

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