SWR2 Wort zum Tag

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Trauer braucht Orte des Erinnerns

„Die Trauer
ist ein Vogel
mit verwundeten
Flügeln"

sagt die Lyrikerin Rose Ausländer. Die „verwundeten Flügel" umschreiben metaphorisch Leid, Einsamkeit, Verlassenheit, die der Tod für Menschen bedeutet.
Das ist nach Jesu Tod nicht anders. Trauer, Leere und Hoffnungslosigkeit bestimmen die Jüngerinnen und Jünger. Sie gehen unterschiedlich damit um. Die einen fliehen, andere verstecken sich aus Angst, auch verfolgt zu werden, und wieder andere bleiben in der Nähe des Kreuzes.
Sie trauern, sind ohne Orientierung und sehen in keinem Weg mehr einen Weg.
Die Bibel erzählt solche Geschichten der Trauer von Maria Magdalena und anderen Männern und Frauen in der Nachfolge Jesu.
An eine Geschichte möchte ich heute am Karsamstag erinnern, an Josef aus Arimathäa. Alle vier Evangelien erzählen von ihm.
Er trauert um einen Freund. Vielleicht hat er mit ihm unter dem Kreuz gelitten, sein Sterben begleitet. Der Stummheit des Todes will er etwas entgegensetzen: das Gedenken. Er trauert und will sich erinnern, an dem Ort verweilen können, wo er Jesus begraben weiß. Deshalb geht er zu Pilatus, dem römischen Statthalter, der Jesus zum Tod verurteilt hat, und bittet um den Leichnam Jesu.
Das ist ganz schön mutig, denn Jesus ist als Aufrührer gekreuzigt worden. Macht  sich Josef damit nicht auch verdächtig? Schließlich ist er ein angesehener Ratsherr.
Das Johannes-Evangelium erzählt, dass er „aus Furcht vor den Juden", also aus Furcht vor der jüdischen Religionsführung, verheimlicht habe, ein Jünger Jesu zu sein. Vielleicht hatte er Angst um seinen Ruf. Vielleicht hat ihm auch der Mut gefehlt. Aber nach Jesu Tod bekennt sich Josef von Arimathäa zu Jesus. Er will ihn würdig begraben und nicht irgendwo verscharrt wissen. Er salbt den Leichnam Jesu, wickelt ihn in Tücher mit wohlriechenden Ölen und bestattet ihn in seinem eigenen, noch leeren Felsengrab.
Dieser Umgang mit dem Leichnam Jesu ist für mich eine liebevolle Abschiedsgeste, ein Zeichen der Achtung und Sympathie.
Es zeigt mir, dass es einen Ort braucht, wo sich die Trauer hindenken kann, wo ich mich erinnere an gemeinsames Leben, an Erfahrungen und Erlebnisse. Trauer braucht den Raum und die Zeit, damit die Lichtseite der Auferstehung lebbar wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10498
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