SWR2 Zum Feiertag

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„Auferstehungsglaube - Trost oder Vertröstung?" - Ein Gespräch zum Ostermontag mit Dr. Heike Springhart, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Heidelberg und Studienleiterin am Theologischen Studienhaus in Heidelberg, und Pfarrerin Karoline Rittberger-Klas.

Posaunenmusik: Wir wollen alle fröhlich sein

Rittberger-Klas:
Solche Osterchoräle waren gestern, am Ostersonntag, auch auf vielen Friedhöfen zu hören. In vielen Gemeinden gibt diese Tradition, dass sich  evangelische Christen frühmorgens an die Gräber stellen und mit Posaunenklang die Auferstehung und das Leben feiern.
Frau Dr. Springhart, Sie sind Pfarrerin, gleichzeitig beschäftigen Sie sich in Ihrer Habilitationsschrift auch wissenschaftlich mit Fragen von Tod und Endlichkeit - wie erleben Sie persönlich solche Osterfeiern?

Springhart:
Wenn am Ostermorgen, ja manchmal wirklich noch in der Osterdämmerung, das „Christ ist erstanden" über das Tal schallt, so wie es auf dem Dorf erlebt habe, dann ist das für mich eine trotzige Fanfare, und ein Lied des Lebens nach der Karwoche, in der ja Leiden und Tod im Zentrum standen.

Rittberger-Klas:
In dieser Situation, auf dem Friedhof, ist es da für Menschen nicht vielleicht auch besonders schwierig, da zu stehen und davon zu singen und zu spielen, oder gibt es da etwas, das sie mitnimmt, das es ihnen erleichtert?

Springhart:
Dort wo ich das erlebt habe in der Gemeinde war es so, dass die Osterkerze mit dort stand, und dass die Angehörigen kleine Kerzchen an dieser Osterkerze entzündet haben und auf die Gräber gebracht haben am Ende dieser kleinen Auferstehungsfeier. Und das fand ich immer den berührendsten Moment, weil dadurch die Gemeinschaft auch ganz sinnenfällig hergestellt wurde. Und das war für die Menschen ein sehr tröstliches Element und hat vielleicht diese Zumutung, die darin steckt, noch mal in ein anderes Licht gerückt, weil sie also wirklich durch dieses Gehen zum Grab und das Licht Draufstellen das noch einmal anders erlebt haben.

Rittberger-Klas:
Für Außenstehende kann das ja befremdlich, ja fast paradox wirken, dass sich Menschen am Ostermorgen auf den Friedhof stellen, zwischen die Gräber - vielleicht frischen Gräber -  und so gegen die Realität des Todes ansingen oder anspielen mit den Posaunen.

Springhart:
Das stimmt, ausgerechnet an dem Ort, wo manche vielleicht das letzte Mal zu einer Beerdigung waren, von Auferstehung zu hören und zu singen, kann, finde ich, geradezu eine Zumutung sein, und doch glaube ich, dass es gerade nicht egal ist, dort gegen die Realität des Todes anzusingen. Da, wo man nicht im sicheren Abstand, aus sicherer Entfernung darüber philosophiert, sondern wo die Namen von Menschen stehen, um die ich trauere. Denn am Ostermorgen auf dem Friedhof verschränken sich für mich zwei Geschichten: Die Geschichte von der Auferstehung Christi und die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten.

Rittberger-Klas:
Ändert sich denn etwas an Ostern? Der Tod bleibt eine erschreckende Realität.  Die Menschen müssen mit ihrer Trauer umgehen, müssen mit ihrem Verlust umgehen, mit ihrer Einsamkeit - kann das Reden von der Auferstehung da ein wirklicher Trost sein oder bleibt es nicht manchmal auch Vertröstung?

Springhart:
Das ist ein schmaler Grat. Die Rede von Auferstehung ist dann eine realitätsferne Vertröstung, wenn sie so tut, als wären Leiden und Tod nicht mehr relevant. Aber für mich ist die Verschränkung von beiden Geschichten, die ich gerade gesagt habe, also die Auferstehung Christi und die Auferstehung der Toten, diese Verschränkung ist zentral. Jesu Auferstehung ist bereits Wirklichkeit, aber auf die Auferstehung der Toten warten wir noch. Das heißt, dass ich, wenn ich von Auferstehung rede, geradezu auf das Leiden und den Tod nüchtern blicken kann und dazu ermutigt bin. Also Leiden und Tod nicht wegrede - aber die Hoffnung bekommt eine neue Richtung. Mit anderen Worten: Als Christin bin ich in der Lage und befreit, die Dinge beim Namen zu nennen, und das heißt eben auch, Trauer und Tod und unvorstellbares Leid nicht schön zu reden, sondern als das, was es ist, ernst zu nehmen.

Rittberger-Klas:
Im Johannesevangelium gibt es eine Geschichte, die für mich immer ganz eindrücklich ist in diesem Zusammenhang: Martha trauert um ihren gestorbenen Bruder Lazarus und spricht mit Jesus. Und Jesus sagt ihr dann als Trost: „Dein Bruder wird auferstehen!" Und Martha antwortet fast enttäuscht: „Ich weiß, dass er auferstehen wird, bei der Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag." Und da klingt so diese Enttäuschung mit - was hilft es mir jetzt, dass irgendwann diese Auferstehung kommen wird, ich bin jetzt traurig, ich möchte jetzt, dass sich etwas verändert. Und Jesus sagt ihr dann: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wie kann man das interpretieren?

Springhart:
Ich sehe bei Beerdigungen die Gefahr, dass zu schnell davon geredet wird, dass die Auferstehung folgt. Damit meine ich, dass über die Situation hinweggegangen wird, die da im Zentrum steht. Also die Situation, die jetzt Martha erlebt und sagt: Jaja, ihr mit eurem frommen Gerede, das sagt mir überhaupt nichts, ich bin an einem ganz anderen Punkt. Das ist die eine Seite. Und mit der muss ich als Pfarrerin sensibel umgehen. Auf der anderen Seite ist die Auferstehung in der Zukunft insofern nicht nur eine Vertröstung, weil sie zurückwirkt auf unser Leben hier und jetzt. Vielleicht ist das das Entscheidende an Ostern: An Ostern feiern wir Jesu Auferstehung und haben sozusagen eine Auferstehungsgeschichte die bereits geschehen ist, und daran sehen wir und feiern wir - stimmen mit ein, deshalb die Posaunen - was uns erwartet. Und die Posaunen auf dem Friedhof, die verkünden in der Tat mehr. Die künden wirklich von der Überwindung von Leid und Tod und von der Auferstehung, und sie weisen in die Zukunft. Klar, der Tod ist eine Realität, manchmal, meistens, eine schreckliche, aber er hat eben nicht das letzte Wort. Am Ende der Zeiten wird Gott alle zum neuen Leben erwecken, und in der Bibel ist sogar die Rede davon, dass er einen neuen Himmel und eine neue Erde schafft. Und darauf weisen die Posaunen.

Rittberger-Klas:
Das geht also über eine individuelle Hoffnung hinaus...

Springhart: J
a, es geht um Hoffnung für diese Welt, und um einen großen Bogen, den Gott von Anbeginn an über diese Welt spannt.

Rittberger-Klas:
Natürlich ist das eine große Perspektive, eine große Hoffnung für die Zukunft. Ändert sich etwas für den Einzelnen, der da auf dem Friedhof steht, der mit seiner Trauer zu leben hat, ändert sich jetzt und heute etwas?

Springhart:
Ob sich immer gleich etwas ändert, da bin ich skeptisch. Aber es ändert sich vielleicht die Perspektive - zumindest die! Also im Bild gesprochen: Ich gucke nicht mehr nur in das schwarze Loch des Grabes, wie es so gnadenlos bei der Beerdigung am Ende ist, wenn ich jemanden zu Grabe trage. Es gibt an Ostern das Einfallstor für die Hoffnung darauf, dass einmal alles anders werden wird, und das hat für mich ganz viel mit Realität und mit unserem hier und heute zu tun. Weil  wenn das klar ist, dass nicht alles so bleibt wie es jetzt ist, dann muss mich auch nicht das, was mich heute gefangen hält und mich leiden lässt, festhalten. Sondern dann kann ich an diesen Veränderungen mitarbeiten, ich kann diese Veränderungen mit gestalten, ich kann sie manchmal auch ertragen, weil ich weiß, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Rittberger-Klas:
Es macht Mut zur Veränderung, es aktiviert Menschen?

Springhart:
Ich habe mal ein schönes Zitat des Philosophen Ludwig Wittgenstein gelesen, der es schön auf den Punkt gebracht hat und gesagt hat: An einen Gott glauben heißt sehen, dass es mit den Tatsachen dieser Welt noch nicht abgetan ist. Das finde ich eine schöne, sehr knappe Zusammenfassung dessen, was an Ostern aufleuchtet.

Rittberger-Klas:
Es ist also wichtig, die Trauer nicht wegzureden, auch Christen dürfen trauern, selbst wenn sie an die Auferstehung glauben - aber trotzdem öffnet sich an Ostern, wenn die Zeit denn gekommen ist, eine neue Perspektive.

Springhart:
Ja, es fällt eine neues Licht auf unsere Lage: An Ostern wird deutlich, dass selbst wenn ich das Gefühl habe alles, mein Leben ist an eine Wand gefahren, alles liegt tot danieder, es ist keine Bewegung mehr möglich, sei es im Blick auf den Tod, sei es im Blick auf das, was mich in meinem alltäglichen Leben gefangen hält an Sachzwängen, an alternativlosen Wegen, selbst wenn ich dieses Gefühl habe: es gibt immer eine Alternative, und es gibt immer eine Möglichkeit, noch einmal neu aufzustehen und neu loszugehen. Und bei Auferstehung gibt es noch einen anderen Aspekt, der mir dabei wichtig ist: Nicht immer habe ich die Kraft, aus mir selbst heraus einfach aufzustehen und loszugehen. Gott hat Jesus von den Toten auferweckt, er ist nicht als Superheld auf dem Grab auferstanden. Vielleicht ist auch das die Hoffnung, dass ich, wenn ich selbst am Boden liege - dass Gott mir dann aufhilft und mir neue Wege zeigt. Aber dass ich den Mut haben kann, nach neuen Wegen zu suchen.

Rittberger-Klas:
Wenn Sie für sich noch einmal formulieren sollen: Die Hoffnung, die sich mit Ostern, mit der der Auferstehung Jesu ausdrückt für unser Leben, wie würden Sie das für sich formulieren?

Springhart: Ich würde für mich formulieren, dass die Osterhoffnung nicht nur der Sieg des Lebens über den Tod ist, sondern die Hoffnung darauf, dass die ganze Fülle des Lebens, mit all seinen schwierigen Seiten, mit Leiden und Tod, mit den Kreuzen, die wir zu tragen haben - dass die aufgehoben sind, und zwar aufgehoben im doppelten Sinne: Sie sind bewahrt bei Gott, in seiner bergenden Hand, und sie sind aufgehoben insofern als sie eben nicht das letzte Wort haben.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10496
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