Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Ich heiße Klaus. Ich bin Alkoholiker." Jedes Mal, wenn Klaus beim Meeting der Anonymen Alkoholiker etwas sagte, fing er so an: „Ich heiße Klaus. Ich bin Alkoholiker." Ich hatte Klaus kennen gelernt, weil ich schon aus Jugendzeiten mit seiner Ehefrau befreundet war. Beide hatten schwere Alkoholprobleme, und beide haben es geschafft, trocken zu werden. Mit Hilfe der Anonymen Alkoholiker. Einmal hat Klaus mich zu einem Treffen seiner AA-Gruppe mitgenommen. Er wollte mich miterleben lassen, wieso dieser Austausch für ihn so wichtig war. Am meisten beeindruckt hat mich, dass jeder Anwesende zu Beginn jedes Gesprächsbeitrags wieder sagte: „Ich heiße Soundso. Ich bin Alkoholiker." Wenn jemand zehn Mal am Abend etwas ins Gespräch einbrachte, sagte er zehn Mal diese Sätze. Jedes Mal erinnerte er sich und die anderen an seine Krankheit - und daran, dass er ein Leben lang gefährdet bleibt, auch wenn er trocken ist. Und das heißt: Er benennt immer wieder seinen Schwachpunkt, der ihm und oft auch anderen das Leben schwer macht. Er steht dazu und bekennt das ausdrücklich: „Ja, so steht es um mich. Da genau liegt meine Not, meine Gefährdung." Das ist das Entscheidende: Er macht sich und den anderen nichts über sich vor. Gottseidank ist das im Kreis der Anonymen Alkoholiker möglich. Alle begegnen sich dort auf Augenhöhe, als Betroffene. Jeder nimmt verständnisvoll Anteil am Schicksal des anderen. Deshalb kann der Einzelne sich dann hoffentlich auch der eigenen Wirklichkeit stellen. Und dann kann es mit ihm wieder aufwärts gehen. Das aber gilt grundsätzlich, für alle: Je mehr ein Mensch zu sich und vor allem zu seinen Schwachpunkten stehen kann, desto mehr kann er in seiner Persönlichkeit wachsen, desto glücklicher kann er werden. Gerade die Fastenzeit lädt dazu ein, dass ich mich der eigenen Wirklichkeit stelle, dass ich mir nichts über mich vormache. Das ist leichter gesagt als getan. Für den christlichen Glaubens ist fundamental, dass Gott jeden Menschen bedingungslos liebt und so annimmt, wie er ist. Und dass Gott barmherzig ist, dass er immer und immer wieder Vergebung schenkt. Wenn das so ist, wenn Gott so ist, dann brauche ich mir doch über mich nichts vorzumachen. Dann kann ich mich leichter so annehmen, wie ich bin - und gerade auch dort, wo ich mich mit mir selbst schwer tue.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10372
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