Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Einfach mal den Mund halten. Still sein. Das fällt nicht nur mir schwer. Aber jetzt war es soweit. Ich war mit einigen Frauen unterwegs. Vier Tage lang haben wir zusammen geredet, gebetet, gegessen und sind gewandert. Dann wollten wir schweigen. Nicht, weil uns der Gesprächsstoff ausgegangen wäre. Es war eine bewusste Entscheidung: Einen Tag lang wollten wir schweigen! Genug erzählt, genug geantwortet, genug diskutiert! Jetzt ging es darum, den eigenen Gedanken nachzugehen. Es ging darum, zu hören, was in mir steckt an Freude und Trauer, an Ängsten und Hoffnungen, an Enttäuschungen und Wünschen. Es ging darum, bewusst wahrzunehmen, wie andere mir begegnen. Gar nicht so einfach: Schweigend essen, schweigend beten, schweigend wandern. Doch im Lauf des Tages ist mir aufgegangen: Schweigen bedeutet nicht einfach nur, mal den Mund zu halten, Schweigen ist kein Verstummen, sondern im Schweigen kann ich sehr viel empfangen. Schweigen kann mir helfen, Worte zu bedenken, die mich ermuntern: Schweigen lässt mich dankbar werden. Schweigen kann mich lehren, Sätze zu wählen, die wirklich wichtig sind: Schweigen lässt mich achtsam werden. Beim Schweigen kann ich nachdenken über das, was mich geärgert hat oder mir Leid tut: Schweigen lässt mich mitfühlen. Das gemeinsame Schweigen hat unser Miteinander und jede Einzelne ein Stück weit verändert. Die Zeit hat uns innerlich ruhiger, aufmerksamer und dankbarer werden lassen. An vielen Orten wurde in den letzten Wochen der Alltag durch Schweigeminuten unterbrochen. Die schlimmen Ereignisse in Japan haben viele Menschen tief betroffen und ohnmächtig gemacht. Im gemeinsamen Schweigen - auch nur für Minuten - zeigen sie dies. Im Schweigen fühlen sie sich verbunden mit den Opfern. Das ist oft das einzige, was möglich ist: Schweigen und das Leid wahrnehmen. Wer schweigt, stellt sich dem Leben!

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