SWR2 Wort zum Tag

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Eine Audienz bei Gott? Das wäre was. Der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch hat es vorgemacht. Er wurde sogar von Gott in den Himmel eingeladen. Das zumindest erzählt der Kabarettist in seinem Buch »Wir sehen uns wieder«. Hüsch berichtet von einer himmlischen Tournee. Inklusive Audienz beim lieben Gott. Doch für Hüsch ist das eine ziemlich unerfreuliche Begegnung. Denn Gott liest dem ziem-lich kleinlauten Komiker erst mal die Leviten. Erinnert ihn an drei Geschichten aus seinem Leben: Du hast, sagt Gott zu Hüsch, mit Schulfreunden 1939 ein polni-sches Dienstmädchen mit Stöcken durch den Garten gehetzt. Und du hast einen Frosch ganz langsam mit Steinen getötet. Und du hast der kranken Mutter hinter-rücks den Stuhl weggezogen, so dass die gelähmte Frau auf den Boden stürzte.
Was Hüsch erzählt, irritiert mich. Ich stelle mir Gott nicht als kleinlichen Buchhal-ter vor. Für mich ist er niemand, der akribisch aufschreibt, was Menschen tun o-der lassen. Und trotzdem berührt mich die Geschichte. Denn Hüsch erzählt davon, dass manche Schuld den Menschen nicht loslässt, dass sie sich nicht so einfach abschütteln lässt – dass Schuld manchmal nie verjährt und immer schmerzt.
In den Tagen vor Ostern erzählt die Bibel auch eine Schuldgeschichte. Die Ge-schichte des Judas. Er hilft bei der Verhaftung Jesu mit. Doch als er begreift, dass Jesus hingerichtet wird, bemüht er sich, seinen Verrat rückgängig zu machen. Zu spät. Die Geschichte geht unerbittlich weiter. Die Zeit lässt sich nicht zurückdre-hen. Judas verzweifelt. Ohne große Erklärungen hält die Bibel lapidar fest: Judas erhängt sich. Kein Ausweg mehr. Nirgends.
Auch die Judas-Geschichte irritiert mich. Ein lieber und barmherziger Gott kommt auch in ihr nicht vor. Niemand hilft Judas aus seiner Schuldgeschichte heraus, niemand steht ihm bei.
Trotzdem finde ich die Geschichten von Hanns Dieter Hüsch und von Judas über-zeugend. Ich erlebe selbst: Schuld lässt sich nicht einfach ausradieren. Und ich erlebe auch: Es ist schwer, sich mit sich selbst und seinem Handeln zu versöhnen. Es ist schwer, mit der eigenen Geschichte ins Reine zu kommen. Da finde ich es tröstlich, dass der Glaube auch für Schuldgeschichten Platz hat, für Menschen wie Judas oder Hanns Dieter Hüsch. Mir sagt das: Sie kommen auch bei Gott vor.

Hanns Dieter Hüsch: Wir sehen uns wieder. Geschichten zwischen Himmel und Erde, Mün-chen 1995, 103-107.


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