Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Können Sie sich das vorstellen: ein Tag, den man einfach verschwinden lässt?
Genau das macht die Bibel mit dem Karsamstag.
Er kommt in der Bibel nicht vor. Beim Erzählen wird er einfach übersprungen.
Es scheint fast so, als hätte es diesen Tag nicht gegeben.
Wir wissen ziemlich genau, wie der Karfreitag endet:
Die männlichen Jünger sind auf der Flucht,
Petrus ist unter Tränen zusammengebrochen,
zwei Jüngerinnen haben dabei zugesehen, wie Jesus in ein Grab gelegt wurde. Dann geschieht nichts mehr. Der Rest ist Schweigen.
Wie geht es den Jüngern auf der Flucht?
Hat Petrus sich wieder gefangen?
Hat es den Frauen das Herz gebrochen, Jesus tot und begraben zu sehen?
Wir wissen es nicht. Unsere Neugier oder Anteilnahme werden nicht befriedigt.
Wir bleiben außen vor und ich bin davon überzeugt, das ist Absicht.
Das Schweigen der Bibel ist keine versehentliche Lücke beim Erzählen oder Aufschreiben.
Dahinter steht vielmehr die Botschaft: Bis hierher und nicht weiter.
Der Karsamstag gehört nicht in die Öffentlichkeit.
Die Gefühle der Jüngerinnen und Jünger gehen keinen etwas an.
Sie haben einen geliebten Menschen, Jesus, verloren.
Nun werden sie in ihrer Trauer nicht ins Rampenlicht oder vors Mikrofon gezerrt.
Sie bleiben geschützt.
Während um sie herum alles seinen gewohnten Gang geht,
so als wäre nichts geschehen, bleibt ihre Zeit stehen.
Wie das bei Menschen, die trauern, nun mal so ist.
Was gestern am Karfreitag war,
steht ihnen deutlich vor Augen und ist doch Vergangenheit.
Was morgen kommen könnte, davon haben sie nicht die leiseste Ahnung.
Sie stehen zwischen den Zeiten.
Und deshalb steht, was sie fühlen und denken am Karsamstag,
für uns höchstens unsichtbar zwischen den Zeilen.
Es ist gut, dass die Bibel für einen Tag selbst die frömmsten Leser ausschließt.
Wir brauchen wie die Jünger damals Tage, die für uns reserviert sind. Ganz privat.
Tage, an denen wir uns zurückziehen dürfen in einen geschützten Raum.
Tage, an denen man uns nicht sieht und hört.
Tage, um unsere Tränen, unsere Leere und unsere Flucht zu Gott zu bringen.
Zu dem Gott, der auch zwischen den Zeiten da ist und auch zwischen den Zeilen liest. https://www.kirche-im-swr.de/?m=1035
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