Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Wenn endlich der Garten für den Frühling fertig ist, dann - seufzt die Nachbarin. Wenn ich erst die Diplomarbeit fertig geschrieben habe, dann - sagt die Studentin. Wenn die Nachrichten endlich wieder schöne Bilder zeigen, dann.... Viele kennen das. Sie warten auf bessere Zeiten, wenn irgendwann einmal alles fertig, alles erledigt, alles erlebt und alles erreicht ist, was sie sich dann wünschen. Dann werden sie endlich etwas unternehmen, etwas anpacken und auf die Beine stellen. Vielleicht sogar erst dann werden sie endlich glücklich leben. Und so wird alle Hoffnung auf die Zukunft gesetzt. Ein vertrautes Gefühl. Aber ich erlebe auch: genau dieser Blick in unerreichbare Ferne ist die pure Anleitung zum Unglücklichsein. „Sorgt euch nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage." (Mt 6,34) Dieser biblische Satz hat mich immer schon irritiert, als vorsorgegewohnte Deutsche. Aber - ist es nicht wahr: jeder Tag hat genug eigene Plage? Jeder einzelne Tag will überstanden werden. Wie sie das schaffen sollen, diese Frage quält viele Menschen: hier, in Japan, in Nordafrika. 
 „Sorgt euch nicht um morgen" ist eine Einladung, alle Kräfte in den heutigen Tag zu stecken. Das mag leicht klingen. Aber für viele ist schon der eine, nur der heutige Tag eine große Aufgabe. Weil sie Sorgen haben. Oder Schmerzen. Oder weil durch eine Katastrophe alles verloren ist. Dann wird der Berg an Plagen unübersichtlich. Wer in Not ist, für den kann ein einzelner Tag schrecklich lang und schier unüberwindbar sein. Aber wenn dann nur dieser einzelne Tag im Blick ist, dann reichen die Kräfte vielleicht für den nächsten Schritt, und für noch einen, und noch einen. Nur für heute. Das ist immerhin ein überschaubarer Zeitraum. Und dann ist nur dieser heutige Tag vielleicht zu schaffen.

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