SWR4 Abendgedanken BW

SWR4 Abendgedanken BW

Es gibt Sätze, die können einen ein Leben lang begleiten. Erika geht das so mit ihrem Denkspruch. Den hat sie bei ihrer Konfirmation bekommen, vor gut 50 Jahren. Immer wieder hat er ihr Mut gemacht, wenn es schwierig war in ihrem Leben. Demnächst soll nun ihre Enkelin Annika konfirmiert werden. Da macht Erika sich natürlich Gedanken und spricht mit Erwin darüber.
„Einen Denkspruch wird sie auch bekommen, die Annika, ich bin gespannt, was für einen. Sie hat ihn mir nicht verraten."
„Wie, nicht verraten?", fragt Erwin. „Den bekommt man doch, den teilt einem doch der Pfarrer zu."
„Nein", sagt Erika, „bei denen ist das anders, da haben die Konfirmanden sich ihren selber aus der Bibel ausgesucht. Eigentlich finde ich das schade. Ich finde, manche Worte müssen einem gesagt werden. Sie müssen mich finden, nicht ich sie."
„Ja, gut", sagt Erwin, „aber was ist, wenn mich der Spruch nur ärgert? Also, ich hab meinen nie gemocht. Und dass das klar ist:Bbei meiner Beerdigung soll er nicht gesagt werden. Das klingt dann immer so, als ob er einen ein Leben lang begleitet hätte."
 „Es gibt Sätze aus der Bibel, die können das", sagt Erika, „und ich hoffe sehr, dass Annika sich so einen ausgesucht hat, einen Spruch, der ihr hilft im Leben. Aber deiner - den weiß ich gar nicht, wie geht der?"
„Ach, irgendwas mit immer brav sein", sagt Erwin.
„Das kann ich mir nicht vorstellen", sagt Erika. „Dass das so in der Bibel steht."
„Lehre mich tun nach deinem Wohlgefallen, so fängt er an", sagt Erwin. „Ach, er war mir immer zuwider. Ich hab immer gedacht, was will der Pfarrer mir damit sagen? So schlimm war ich doch gar nicht."
„Ach", sagt Erika, „vielleicht solltest du noch mal darüber nachdenken. 'Lehre mich tun nach deinem Wohlgefallen', das kann ja auch heißen, du sollst dich nicht nach dem richten, was die Menschen von dir wollen, sondern eben nach Gott. Und das heißt... na, zum Beispiel, dass wir unseren Nächsten lieben."
„Dagegen ist nichts zu sagen", meint Erwin, „ich hätt' halt gern was gehabt, das mir etwas mitgibt fürs Leben, etwas, wo mehr Freiheit drin steckt."
„Vielleicht geht es bei deinem Spruch genau darum", sagt Erika, „dass wir dann frei sind, wenn wir so leben, wie es Gott gefällt."
„Darüber muss ich mal nachdenken", sagt Erwin. „Wie geht denn deiner?"
„Für meine Beerdigung", sagt sie, „wenn du das meinst, da ist ein Kärtchen mit dem Spruch in meinem Gesangbuch."
„Ach komm," sagt er.
„Also", sagt sie, „meiner geht so: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit."
„Der ist gut", sagt Erwin. „Können wir nicht einfach tauschen?"

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10306
weiterlesen...