SWR2 Wort zum Tag

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Beten ist unpopulär, man spricht eigentlich nicht darüber, und doch hat es einen festen Platz im Leben, wenn die Zeiten schlecht stehen. Umfragen belegen das, und ich finde es verständlich. Gerade wenn wir mit unserem menschlichen Handeln an die Grenzen des - im Moment - Möglichen kommen, stellt sich die Frage, ob sich unsere Lebenswirklichkeit zum Besseren wandeln kann, umso drängender. Und die Bilder aus den durch Naturkatastrophen zerstörten Gegenden Japans ersticken ja nicht die Sehnsucht nach einem unversehrten Leben, sondern lassen sie nur umso deutlicher werden.
Der Ruf nach Gerechtigkeit, der Schrei nach Leben kommt auch im „Vaterunser" vor - jenem Mustergebet, das Jesus an seine Jünger und Jüngerinnen weitergibt: „Dein Reich komme!"
Man hat diese Bitte kritisiert: Die Christen hätten nur das Jenseits im Blick. Sie seien wirklichkeitsfremd. Sie träumten von einer besseren Welt hinter dieser Welt, auf die sie vertrösten wollten.
Ich empfinde diesen Einwand als zynisch. Er geht davon aus, dass Wunsch und Wirklichkeit immer im Zwiespalt enden. Doch warum sollte das so sein? Es gibt kein Handeln im Blick auf eine bessere Welt ohne die Vision einer besseren Welt. Das Schauen ist unserem Handeln voraus. Und wo Visionen ausbleiben, da stellt sich statt dem Schauen wenigstens das Sehnen ein. Ich glaube, dass Sehnsucht elementar wichtig ist, um überhaupt leben zu können. Und ich bin froh, dass diese Sehnsucht auch im Beten ihre Sprache findet.
Die zweite Bitte des Vaterunsers bringt für mich zunächst zum Ausdruck, dass meine Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit sich nicht in dem erschöpft, was ich mir gerade persönlich als den glücklichsten Zustand auf Erden vorstellen und wünschen mag. Im „Reich Gottes", um das ich bitte, liegt weit mehr als private Glückserfüllung. Das Symbol des Reiches Gottes umfasst die ganze Welt. Es hat alle Menschen im Blick - und nicht nur die Menschen, sondern auch des Menschen Zusammensein mit anderen Geschöpfen Gottes.
Und das Zweite: Das „Reich Gottes" verwirklicht sich nicht erst irgendwann in einer fernen Zukunft oder gar nicht auf dieser Erde. Es wird schon hier und jetzt wirklich, vielleicht nur bruchstückhaft. Aber es wird wahr, wo Machtmissbrauch durchschaut und bekämpft wird. Es wird wahr, wo Schuld eingestanden und vergeben wird, wo Täter und Opfer sich ins Gesicht sehen können. Es wird wahr, wo wir bekommen, was wir zum Leben brauchen, und dafür sorgen, dass auch andere es erhalten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10287
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