SWR2 Wort zum Tag

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Nichts ist selbstverständlich. Beten schon gar nicht. Nur Kinder beten ganz unbefangen. Doch irgendwann ist es vorbei mit der kindlichen Unbefangenheit. Dann bleibt der kindliche Glaube buchstäblich an der Zimmerdecke hängen - und es versiegt in der Regel auch das Beten. Auch das Beten muss erwachsen werden, will es sich im Leben von Erwachsenen behaupten.
Die Kunst des Betens musste bereits vor 2000 Jahren gelehrt und gelernt werden. Die Evangelien der Bibel überliefern uns ein Mustergebet Jesu, das „Vaterunser", mit dem er seinen Jüngerinnen und Jüngern zeigen wollte, wie man beten kann und soll. Seine Nachfolger hatten es offenbar nötig - so wie Menschen heute.
Das Schwierigste am Beten ist für mich die Unsicherheit, wem mein Gebet eigentlich gilt. Zu wem soll oder kann ich beten? Gibt es da jemanden, der mich hört? Die erste Bitte des „Vaterunsers" nimmt die Frage nach dem Adressaten auf: „Geheiligt werde dein Name!"
Wenn ich mein Gebet so beginne, spreche ich nicht in einen leeren Raum, sondern in eine bestimmte Richtung. Ich richte mich nicht an einen unbekannten Gott, eine willkürliche kosmische Macht, ein blindes Gemisch aus Zufall und Notwendigkeit, sondern an ein ansprechbares Gegenüber. Es kommt übrigens gar nicht auf hörbare Worte an. Beten kann man auch im Herzen. Doch das Bild, das sich einstellt, ist das eines hörenden und ansprechbaren Gegenübers.
Jesus macht zugleich deutlich, dass der Name des Gottes, zu dem wir beten können und sollen, „Vater" ist. In zahlreichen Bildern und Geschichten, in denen Jesus von Gott gesprochen hat, erscheint Gott nicht als unberechenbarer Herrscher oder als launischer Tyrann, sondern als Vater. Und die vertraute Anrede von Gott als Vater bewährt sich für Jesus noch in seiner tiefsten Krise - am Kreuz. Gerade dort richtet sich Jesus an einen hörenden Vater.
Ich weiß: das Bild vom Vater birgt auch Probleme. Der Vatergott kann mit menschlichen Vätern verwechselt werden - das ist die schwache Seite. Die starke Seite aber ist die Vertrautheit und Nähe, die das Bild vom Vater ausdrückt. Mag sein, dass wir heute ein anderes Bild brauchen, in dem wir die Fürsorge Gottes entdecken - vielleicht das Bild von der Mutter. Das ist für mich nicht vorrangig. Wichtiger ist mir, dass meine Anrede an Gott einen Namen bekommt, der mir „heilig" ist: „Geheiligt werde dein Name, Gott, mit dem du dich mir zeigst als der oder als die, die mir zuhört."

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