SWR2 Wort zum Tag

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Von dem Tübinger Theologen Fridolin Stier stammt der Satz: „Gott rechtfertigen wollen ist schlimmer, als ihn anzuklagen."

Ich versuche  immer wieder, Gott zu  rechtfertigen. Verteidige ihn. Ich möchte doch  mein Bild vom lieben  Gott retten. Und weiß dabei, daß dieses Bild nicht zu halten ist.

Manchmal denke ich und erschrecke dabei: vielleicht zeigt sich Gott ja auch im Dunklen und Schweren des Lebens, und es geht für uns Menschen ein Stück von ihm verloren, wenn wir das wegerklären. Vielleicht sind wir ihm, so wie er ist, näher, wenn wir klagen und anklagen.

Wer Gott anklagt, wenn seine Geschöpfe leiden, nimmt ihn ernst. Gott anklagen heißt: ihn als Gott anerkennen und  in die Verantwortung nehmen für die Welt, für die Menschen, für mich.

Der große Klagende und Ankläger in der Bibel ist Hiob. Ihn trifft ein Schicksalsschlag nach dem andern. Erst verliert er Haus und Hof, dann kommen seine Kinder um, und schließlich wird er schwer krank. Körperlich ein Häufchen Elend, rechtet er mit Gott. „Ich lasse meiner Klage freien Lauf, reden will ich in meiner Seele Bitternis.....Deine Hände haben mich gebildet, mich gemacht. Dann hast du dich umgedreht und mich vernichtet. Denk daran, daß du wie Ton mich geschaffen hast." (Vgl. Hiob 10)

Mit solchen Worten hält Hiob den Kontakt zu Gott am Leben. Er nimmt Gott ernst: Du hast mich geschaffen, wie kannst du mich dann jetzt so hängen lassen? Wie kannst du dich sogar gegen mich wenden, mein Leben bedrohen?

Viele Menschen ertappen sich bei ähnlichen Gedanken und sie erschrecken, haben sogar ein schlechtes Gewissen. Ich darf doch Gott gegenüber nicht aggressiv sein. Ich habe kein Recht, ihm Vorwürfe zu machen. Warum eigentlich nicht? Darf ich denn vor Gott nicht ehrlich sein? Darf ich ihn nicht beim Wort nehmen, bei dem Wort, das er mir gesagt hat, indem er mich ins Leben rief?

Es gibt viele Gründe, Gott anzuklagen. Die Fragen, die dabei offen bleiben, muß ich aushalten. Vielleicht auch mit Hilfe von Menschen wie Hiob. Auf dem Höhepunkt seiner Krankheit sagt er: „Ohne meine Haut, die so zerfetzte, und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen; meine Augen werden ihn sehen, nicht mehr fremd. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust" (19,26 f).

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10280
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