Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Die Kirche ist immer noch gefragt: Als Festveranstalter rund um Geburt, Hochzeit und Beerdigung und als Träger von sozialen Einrichtungen und Bildungsstätten. Immer weniger ist sie freilich gefragt als hilfreiche Lebensbegleiterin, die Orientierung gibt und zu einer gelingenden Lebenspraxis beiträgt. Immer weniger Menschen hilft für ihre persönliche Lebensführung, was die Kirches sagt und wie sie es sagt. Sie gehören der Kirche vielleicht weiterhin als Religionsgemeinschaft an. Aber an Rat oder gar Weisung in Fragen der Partnerschaft, in beruflichen, gesellschaftlichen oder sonstigen Fragen von Gewicht sind sie nicht interessiert.
Wer gefragt werden oder gefragt sein will, muss zwei Voraussetzungen erfüllen: Er muss dem Anfragenden den glaubhaften Eindruck vermitteln, dass er dessen Lage kennt und versteht. Und dass er mit seiner Antwort zur Lösung des Problems oder der offenen Frage beitragen kann.
Nun haben wir als Kirche in zweitausend Jahren eigentlich genug Erfahrungen gesammelt, Lösungen ausprobiert und im Glauben reflektiert, dass wir doch für die meisten Probleme eine orientierende Antwort bereit haben sollten. Ich habe aber den Eindruck, dass wir vor lauter Begeisterung für die Antworten nicht mehr richtig auf die Fragen hören. Wenn wir auf die Frage, wie nach einer gescheiterten Ehe eine neue Beziehung gelingen kann, nur die Antwort haben, dass die ausweglos gewordene Ehe eigentlich keine neue Partnerschaft zulässt, - wenn wir für die Not ungewollt kinderloser Paare nur die Antwort haben, dass Reproduktionsmedizin jedenfalls nicht in Betracht kommt, - wenn wir auf die Ungerechtigkeit in der Welt zwar mit der Caritas eine Antwort suchen, aber zu den ungerechten Strukturen keine Alternative nennen, - wenn wir solche Antworten geben, dann passen sie häufig nicht zu den Fragen, die die Menschen haben. Kein Wunder, dass sie uns nicht mehr fragen.
Wir sollten uns ein Beispiel an Jesus nehmen, der in all seiner Weisheit die Fragen der Menschen ernst nahm, ja selbst erst einmal fragte: Was soll ich Dir tun, was erwartest Du von mir, in welcher Lage befindest Du Dich? Es gibt Wichtigeres als schnelle Antworten. Nämlich dass wir als Kirche zuvor wirklich zuhören und hinsehen, damit wir die Probleme der Menschen ehrlich wahrnehmen. Eine Kirche, die wieder gefragt werden will, muss als erstes  zuhören.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10279
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