SWR3 Gedanken

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„Der hat keine Augen", sagt Anna. Sie ist die Tochter meiner Freundin und gerade mal zwei Jahre alt. Neugierig steht sie in meinem Büro vor einem Regal. Darauf liegt eine unfertige und fast rohe Jesusfigur aus Holz. Die schaut sie sich an. „Der hat keine Augen." Erstaunt stehen wir neben der Kleinen. Mir sind bisher eher die fehlenden Arme aufgefallen. Aber Anna hat recht, die Augen fehlen.
 Vielleicht hat die Künstlerin ja gewollt, dass wir Gott ein Gesicht geben. Der Gedanke gefällt mir. Ich könnte mir vorstellen, dass Gott sogar will, dass wir ihm unsere persönlichen Konturen geben. Und er will es, weil er ein Gott des Lebens ist. Und wie das Leben, so hat auch Gott viele Gesichter. Kommt zum Beispiel in meinem Leben etwas Neues auf mich zu, oder etwas, das ich nicht überblicken kann, ist mir die Seite an Gott wichtig, die begleitet und sich sorgt. Ein fester Halt. Vielleicht wie ein Vater oder eine Mutter. Ganz oft ist Gott für mich der Gott der Freude. Wenn ich lachen kann und mich einfach wohl fühle. Gott geht mit mir durch alle Lebenslagen. Ich habe also viele Gottesbilder, die alle den einen Gott beschreiben. Auch die Bibel beschreibt ihn in vielen unterschiedlichen Bildern. Es gibt kein vorgefertigtes, festes Bild von ihm. Durch die gesamte Bibel ziehen sich Umschreibungen wie: Vater oder Mutter, Beschützer, Retter, Zuflucht, und auch der rächende und wütende Gott hat seinen Platz.  Das finde ich gut: ich muss nichts Fertiges übernehmen. So wie mein Leben, ist mein Gottesbild: vielfältig. Ich kann, oder besser: ich soll Gott immer wieder ein Gesicht geben. Da wird der Gott des Lebens greifbar. Und dann bekommt er in meinem Leben auch Augen.

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