SWR3 Gedanken

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Haben Sie schon mal ein Herz in den Sand gemalt? Oder Ihren Namen? Vielleicht ein „Ich liebe Dich"? Es gibt eine biblische Erzählung, in der auch jemand in den Sand schreibt, und zwar Jesus. Das Johannesevangelium berichtet von einer Frau, die mit ihrem Liebhaber in flagranti erwischt wird. Gelehrte Männer bringen sie zu Jesus und fragen ihn, was sie mit der Frau tun sollen. Nach geltendem Recht ist die Lage klar, sie müsste eigentlich gesteinigt werden. Jesus sagt erst mal nichts, bückt sich und schreibt etwas in den Sand. Dann sagt er zu den Männern: „Wer von Euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie." Dann schreibt er wieder in den Sand. Das hat gesessen. Die Gelehrten ziehen ab. Für mich werden die wirklich spannenden Fragen hier leider nicht beantwortet: warum schreibt Jesus in den Sand und vor allem, was schreibt er da? Manche Theologen vermuten, dass er einfach Zeit schinden will, um seine Antwort so präzise wie möglich zu geben. Aber das kann ich mir nicht vorstellen. Er wird die Antwort doch gleich gewusst haben. Ich könnte mir vorstellen, dass Jesus mit dieser Aktion die Gelehrten einfach irritieren wollte. Vielleicht war dieses sich bücken, kritzeln und erst mal nicht antworten, nur Provokation. „Wenn ihr glaubt, ich spiele das Spielchen mit... Ich reagiere erst mal so, wie niemand es erwartet." Obwohl Jesus aus der gleichen Tradition wie die Gelehrten kommt, sind ihm andere Dinge wichtiger als das Gesetz. Er hinterfragt die bestehende Ordnung und entscheidet immer für den einzelnen - immer im Sinne der Menschlichkeit. Das finde ich wirklich spannend. Genauso wie das in den Sand schreiben. Jesus nimmt damit der Situation die Schärfe. Er irritiert und beruhigt. Das sind tolle Strategien um brenzlige Situationen aufzubrechen: irritieren und beruhigen. Jesus beherrschte diese Strategien perfekt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10250
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