SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Die Ohnmacht, das Entsetzen: Sie wollen einfach nicht weichen. Ich sehe die Bilder von der heranrollenden Welle auf Japan. Sehe die Zerstörung. Sehe, dass ein hochentwickeltes Land plötzlich an seinen Ufern aber auch im Land wie eine einzige Schuttwüste aussieht. Und ich weiß, dass die Menschen in Japan noch viel Schlimmeres erleben müssen als das, was ich sehen kann. Dass unzählige Menschen getötet wurden, vermisst sind, hunderttausende flüchten mussten. Wegen der Erdbeben, wegen der Wassermassen, wegen Feuer und nuklearer Bedrohung. Entfesselte Elemente. Die sehe ich und ich kann doch gar nichts tun. Bin ohnmächtig.
Entfesselte Elemente. Das trifft es für mich ganz gut und dann doch nicht. Entfesselt heißt, die Elemente lassen sich durch nichts und niemanden kontrollieren oder gar aufhalten. Wir können vielleicht warnen vor Erdbeben oder einem Tsunami, aber wir können sie nicht verhindern. Das ist richtig - aber genau trifft das Wort von den entfesselten Elementen auch nicht. Denn es setzt voraus, dass die Elemente überhaupt gefesselt sind. Aber ich erlebe in Japan deutlich: Niemand kann die Elemente fesseln. Sie sind frei. Und toben sich aus.  Immer wieder. Jetzt in Japan und im Pazifik. Ich bin voller Trauer. Dass Menschen sterben, dass Häuser, Straßen, Städte verwüstet werden. Ich kann mir kaum vorstellen, wie sich die Menschen in Japan im Moment fühlen. Aber ich möchte mit ihnen fühlen, so gut es eben geht. Ich bin voller Trauer, weil ich wieder einmal erlebe: Natur lässt sich nicht beherrschen. Auch wenn ich das oft genug selbst glaube. Ich bin voller Trauer auch über meine eigene Hilflosigkeit. Über unsere Hilflosigkeit. Denn wir sind alle hilflos. Ausgeliefert auf dieser Erde. Auf dieser Erde, die uns Heimat ist und Heimat gibt, aber die sich auch überhaupt nicht um das Leben schert, dass sich da auf ihrer äußersten Hülle angesiedelt hat. Die Erdplatten, die Tsunamiwellen, sogar das Uran in einem Atomreaktor weiß nichts von Menschen, Tieren und Pflanzen. Ich weiß, von Theologen und den Kirchen wird in solchen Situationen oft ein tröstendes Wort verlangt. Mir will das heute nicht über die Lippen kommen. Ich finde erst einmal keinen Trost und kann auch keinen geben. Ich kann nur hoffen, dass uns unsere Ohnmacht verbindet. Dass wir merken, jetzt ist es wichtig, dass Menschen füreinander einstehen, sich unterstützen, auch über Tausende von Kilometern hinweg. Aneinander denken. Füreinander beten. Dass die Menschen in Japan vielleicht sogar spüren können, dass überall auf der Welt Menschen mit ihnen sind, ihnen Kraft wünschen, sie begleiten - so wie ich das von Gott hoffe. Dass er auch heute bei den Menschen in Japan ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10213
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