SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Der traut sich was: Hans-Magnus Enzensberger! Mit seinem jüngst veröffentlichten Buch ist dem Meisterdenker wieder ein Coup gelungen: „Meine Lieblings-Flops" lautet der viel versprechende Titel für ein buntes Potpourri: durchgefallene Theaterstücke, missglückte Opernlibretti, gescheiterte Film- oder Buchprojekte. Beneidenswert souverän behauptet Enzensberger: Es ist ungemein lehrreich und erfrischend, sich seinem eigenen Scheitern zu stellen. Denn jeder Peinlichkeit wohnt eine Erleuchtung inne. Nicht der Triumph, sondern der Misserfolg befördert die Erkenntnis. Beim Lesen des Buches spürt man förmlich, welchen Spaß der Dichter und Publizist  an dieser Parade der Peinlichkeiten hat. Und liebevoll-boshaft ermutigt er all seine Kollegen , gleichfalls so tapfer von den kleinen und großen Debakeln zu erzählen. Flops hätten auch eine therapeutische Wirkung: Sie mildern beispielsweise den Größenwahn. Auch mich „Normalsterblichen" hat dieser Appell angesprochen: Steh doch zu Deinen Flops! zu Deinem kleinen und großen Scheitern. Nur, der Spaß an dieser Erinnerung hält sich bei mir sehr in Grenzen. Eher spüre ich so etwas wie den Zwang, meine  Misserfolge wieder und wieder zu durchleben - beschämt und verletzt. Von Erleuchtung keine Spur! 
Dabei macht mir der christliche Glaube ein wunderbares Angebot: Mit Fug und Recht lässt sich schon die Bibel als eine Sammlung unendlich vieler „Flops" bezeichnen. Kaum einer, der nicht scheitert! Abraham verrät seine Frau, Salomos Reich zerbricht, auf Elia mag keiner hören und Simon Petrus ist feige. Der Glaube an Gott hat sie nicht vor dem Scheitern bewahrt. Aber sie alle haben erfahren, dass Gott im Scheitern bei ihnen war.
In wenigen Tagen beginnt die Fastenzeit: Wir bereiten uns auf Ostern vor, betrachten den Lebensweg Jesu. Jesus hat sich stets besonders den Gescheiterten zugewandt. Und nach weltlichem Maßstab ist auch er selbst gescheitert: Im Evangelium heißt es: Die Seinen erkannten ihn nicht und nahmen ihn nicht auf. Aber Gott hat den vermeintlich Gescheiterten rehabilitiert, ihn in seinem tiefsten Scheitern am Kreuz nicht verlassen. Das Kreuz ist seitdem unser Hoffnungszeichen: Auch oder gerade in den Momenten des Scheiterns darf ich auf Gottes Nähe hoffen. So kann ich dieses Scheitern auch annehmen. Und aus Sackgassen öffnen sichmanchmal neue Wege. Womöglich gelingt es mir dann einmal, genauso gelassen wie Enzensberger, zu sagen: „Meinen Flops verdanke ich so viel, im Laufe der Zeit sind sie mir immer mehr ans Herz gewachsen."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10149
weiterlesen...