SWR2 Wort zum Tag

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09APR2007
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In Lissabon findet sich der Cemiterio dos Prazeres, zu deutsch: der Friedhof der Vergnügungen. Die Anlage gleicht einer Miniaturstadt mit hausähnlichen Mausoleen. Viele haben Haustüren mit Fenstern, an manchen hängen gehäkelte Gardinen.
Wer einen Blick durch die Gardine ins Innere wagt, sieht kleine Tische, manchmal auch Sessel. Der neugierige Blick sieht aber noch mehr. Er sieht Särge, die rechts und links in den Mausoleen in Regalen übereinander liegen. Und an den Särgen zeigen sich Spuren, die deutlich zeigten, dass diese Häuser eben keine gemütlichen Wohnstätten, sondern Aufbewahrungsstellen für Sarkophage sind, auf deutsch heißt Sarkophag: Fleischfresser.
Der Tod ist nicht gemütlich. Und dieser Friedhof war, für mich jedenfalls, kein Ort des Vergnügens, obwohl er so heißt. Ich floh vor dieser Häuserflucht vergehender Körper, vor den Gardinen und Sesseln und Sarkophagen, vor dem Geruch, vor dieser Miniaturstadt des Todes.
Wer es länger aushält, dem erzählen die Mausoleen Geschichten von Menschen, von vornehmen, von berühmten und berüchtigten, von längst vergessenen und von Menschen, deren Namen noch heute ein Begriff sind. Keinem von ihnen blieb der Tod erspart. Ihre Angehörigen und Freunde haben sie bestattet, haben versucht, es ihnen gemütlich zu machen, wo nichts mehr gemütlich gemacht werden kann. Sie tun ihre Pflicht, so wie die Frauen am Ostermorgen ihre Pflicht tun wollen, salben wollen, wo doch nichts mehr zu erhalten ist, mit dem Duft das verdecken wollen, was nicht zu verdecken ist. Andere sind geflohen, so wie die Lebenden, die noch-Lebenden, immer wieder fliehen vom Ort des Todes, aus unterschiedlichsten Gründen: aus Angst vor dem, was auch ihnen bevorsteht, aus Sehnsucht nach Leben, aus Trauer...
Menschen können dem Tod nicht die Stirn bieten.
Es muss schon mehr geschehen, damit Menschen ein Triumphlied über den Tod singen können, wirklich aus vollem Herzen singen können, mag sein, manchmal noch mit Tränen in den Augen, aber doch erlöst, befreit. Ein Lied, gegen das auch modernde Sarkophage und verstaubte Gardinen in Mausoleen nichts anrichten können, ein Lied, das vom Leben singt, das singen und jubilieren kann - auch mitten in einer Stadt des Todes.
Wir Christen feiern heute den, der das Grab hinter sich gelassen, sich durch Grabtücher und Fels und Stein nicht aufhalten ließ: Jesus Christus. Das können wir - bis heute - nicht verstehen und fassen. Weil wir uns eher einrichten in den Städten des Todes, uns abfinden mit den Steinen vor den Gräbern, uns mumifizieren lassen in tödlichen Gewohnheiten.
Deshalb ist auch die Furcht in den Herzen der ersten Auferstehungszeugen, es ist das Erschrecken über den Gott, den selbst der Tod nicht aufhält. Wer das wirklich auf sich wirken lässt, der muss ja auch erschrecken. So wie die Frauen zuerst erschrecken vor dem leeren Grab. Es ist auch erschreckend, wenn die Macht des Todes zerbricht. Was bleibt, wenn Menschen sich auf den Tod nicht mehr verlassen können?
Der Auferstandene bleibt. Und als die Frauen vom Grab weglaufen, entsteht in ihnen ein Lied, komponiert aus Furcht und aus aufkeimender Freude. Ich stelle mir vor, dass es die Frauen laut gesungen haben, jubelnd, triumphierend auch, dass es ihnen aus dem Herzen auf die Lippen sprang, ein Lied, das weiter gesungen wird, das Gräber sprengt und Steine hinwegrollt. Ein Lied des Lebens.
in Lissabon findet sich der Friedhof der Vergnügungen. Unter alten Zypressen erstrecken sich die weißen Mausoleen.
Wenn ich an das Lied der Frauen am Ostermorgen denke, dann weiß ich: eines Tages werden auch die Türen dieser toten Häuser auffliegen.
Die Sarkophage, die toten Mausoleen, sie haben nicht das letzte Wort.
Das letzte Wort ist ein Lied, das Lied des Lebens. Sein erster Ton, er erklang am Ostermorgen. Sein letzter Ton wird von uns allen gesungen werden. In einem Chor, der Himmel und Erde erfüllt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1014
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