SWR2 Wort zum Tag

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Karl Rahner würde heute 107 Jahre alt. Eigentlich eine etwas zu krumme Zahl, um an ihn zu denken. Aber mir ist dieser Geburtstag Anlass genug, mich mit dem wichtigsten Theologen des 20. Jahrhunderts zu beschäftigen. Sein Bruder Hugo hat ihm einmal angeboten, seine Werke ins „Deutsche" zu übersetzen. So schwer sind seine Schriften manchmal zu verstehen. Doch hinter diesen Schriften steht ein klarer Denker. Einer, der vieles in der Theologie neu durchdacht und die Veränderungen in der Kirche durch das Zweite Vatikanische Konzil mitgestaltet hat. Gleichzeitig wird dieser klare Denker als sehr bescheiden beschrieben. Und immer wieder kann man erkennen, dass Rahner mit beiden Beinen auf der Erde stand und ein Gespür für die Fragen der Zeit hatte. Einer derjenigen, die Rahner mit dem Auto gefahren haben, weil der selbst keinen Führerschein besaß, erzählt: Rahner hatte manchmal Lust, von München aus ins Kloster Andechs zu fahren. Dort angekommen, sagte er dann: „Wir müssen jetzt zuerst beten". Nach dem Beten meinte Rahner: „Und jetzt müssen wir Bier trinken." Das ist katholisch, in dieser Reihenfolge, Leib und Seele, beides muss berücksichtigt werden."
Für Rahner ist das Gebet selbstverständlich. Im Alltag, immer wieder und möglichst oft. Doch auch Rahner weiß, wie sehr Geist und Herz von anderen Dingen eingenommen sind. Und früher übliche Formen wie das Kreuzzeichen vor dem Brotanschneiden oder ein Gruß beim Vorbeigehen an einer Kirche wurden schon zu seiner Zeit allmählich vergessen.
Deswegen predigt Rahner, dass Beten eine Sache ist, „die geübt und erprobt sein will." Man kann lernen, zu beten und sich zu sammeln. Man kann lernen, frei mit Gott zu reden über das Leben und über die Nöte. Man kann selbst über den Widerwillen zu beten mit Gott sprechen. Rahner schlägt vor, Zeiten, in denen man nichts tun kann - beim Anstehen oder Warten - für das Gebet zu nutzen. Er schlägt auch vor, „sich durch die Ärgerlichkeiten und durch die kleinen Freuden des Tages an Gott erinnern zu lassen."
Für Rahner kommt es letztlich nicht darauf an, über Gott oder über das Gebet zu reden. Es kommt darauf an, selber zu Gott zu reden, egal wie leise, arm oder schüchtern. Die Worte müssen nur von Herzen kommen. Er sagt: „Dann wird Gott keines dieser Worte vergessen. (...) Und dann wird Er uns geduldig, ja selig weiter zuhören, ein ganzes Leben lang, bis wir ausgeredet haben, bis wir unser ganzes Leben ausgeredet haben. Und dann - wird er ein einziges Wort der Liebe sagen, aber er ist dieses Wort selbst. Und dann wird der Schlag unseres Herzens stehen bleiben über diesem Wort. In Ewigkeit. - Sollen wir nicht beten?"

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