Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Er war ein Mann der Superlative: Kirchenfürst und Spitzenpolitiker, Kanzler und Königsmacher. 36 Jahre leitete er das Erzbistum Mainz. Heute auf den Tag genau vor 1.000 Jahren ist er gestorben: Erzbischof Willigis.
Die Mainzer haben ihm viel zu verdanken: u.a. ihren Dom und die Kirche St. Stephan. Auch das Rad im Mainzer Wappen hat man ihm zugeschrieben. Willigis - so erzählte man sich - sei der Sohn eines Wagners gewesen. Das ist zwar historisch falsch, aber die fromme Legende hat einen wahren Kern. Der große Willigis stammte tatsächlich aus einer unbedeutenden sächsischen Familie. Und doch gelang ihm eine atemberaubende Karriere. Den Christen in Mainz aber war etwas anderes wichtiger. Willigis vergaß nie seine einfache Herkunft. Bescheiden trat er auf. Er, der Freund und Ratgeber von Kaisern und Päpsten, blieb auf dem Boden. Bauern, Tagelöhnern und Handwerksburschen begegnete er auf Augenhöhe. Knechte und Diener behandelte er wie seinesgleichen. Zeitgenossen berichten, Willigis habe jeden Tag bedürftige Menschen zum Essen eingeladen und ihnen aufgetischt. Der Erzbischof hatte den Auftrag Jesu verstanden: „Der Größte von euch soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden." (Mt 23,11-12) Wahre Autorität gründet nicht in Uniformen oder Nadelstreifen, nicht in Titeln und Ämtern. Ein Vorgesetzter, der immer auf seine gehobene Position verweist, verwechselt Eitelkeit mit Persönlichkeit. Wer so handelt, zeigt, dass ihm die wichtigste Führungsqualität fehlt: die Wertschätzung der anderen. Es ist verletzend und entwürdigend, wenn Lehrer auf ihre Schüler herabsehen oder Chefs ihre Mitarbeiter abkanzeln. Willigis war ein Vorbild nicht wegen seiner Kirchenpolitik, sondern weil er allen Menschen den gleichen Respekt entgegenbrachte. Geschichte und Gegenwart zeigen, dass auch Christen immer wieder der Arroganz der Macht verfallen. Umso wichtiger sind da Vorbilder wie Erzbischof Willigis. Offiziell heiliggesprochen wurde er übrigens nie. Aber für seine Mainzer ist er ein Heiliger. Und das zählt.

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