Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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 Sie war die Sekretärin Adolf Hitlers: Traudl Junge. Mit 22 trat sie in den Dienst des „Führers". Bis zuletzt arbeitete sie für ihn im Bunker der Reichskanzlei. Ihr diktierte Hitler sein Testament. Nach 1945 wurde Traudl Junge von den Amerikanern als „Mitläuferin" eingestuft und blieb straffrei. Mit ihrem Leben im Dritten Reich setzte sie sich kaum auseinander. Sie sei ja noch sehr jung gewesen und ziemlich unpolitisch. Als sich eher zufällig die Chance ergab, in der Machtzentrale der Nazis zu arbeiten, habe sie das eben gemacht. Fertig. Doch dann sollte ein Spaziergang durch München alles verändern. Traudl Junge kam an der Universität vorbei und las die Bronzetafel, auf der an die Geschwister Scholl erinnert wird. Und an die anderen Mitglieder der „Weißen Rose", die ihren Widerstand gegen das NS-Regime mit dem Leben bezahlten. Als Traudl Junge genauer hinsah, fiel ihr auf: Sophie Scholl und sie waren nahezu gleichaltrig. Und als Sophie Scholl ihre Flugblätter gegen die Nazis verteilte, trat sie selbst gerade in Hitlers Dienste. Das ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Warum hatte sie sich so anders verhalten als Sophie Scholl? Beide Frauen waren im Dritten Reich aufgewachsen. Beide gehörten zum Bund Deutscher Mädel. Doch während Sophie Scholl den mörderischen Charakter der Nazis erkannte, blieb sie selbst blind für die Verbrechen des Regimes. Sie hatte sich angepasst, weggesehen, verdrängt und mitgemacht - wie die meisten damals. Aber das war eben nicht „alternativlos", wie das Beispiel der „Weißen Rose" zeigt. Traudl Junge bekannte: „Mit einem Mal kam mir die Entschuldigung abhanden." Und heute? Wir leben in einer freien Gesellschaft. Missstände zu benennen, ist nicht mehr lebensgefährlich wie damals. Und doch halten viel zu viele den Mund, wo sie eigentlich laut protestieren müssten. Wenn Unrecht geschieht, wenn Kritik nötig wäre: in der Familie, am Arbeitsplatz, im Verein. Zivilcourage ist eine seltene Tugend. Lieber raushalten als einmischen. Nur nicht auffallen, „cool" bleiben. Nur keinen Ärger kriegen. Auch deshalb ist es so wichtig, an die Frauen und Männer zu erinnern, die in Zeiten der Diktatur gegen den Strom geschwommen sind. Auch an diesem Dienstag. Heute vor 68 Jahren wurden Sophie Scholl, ihr Bruder Hans und der Freund Christoph Probst hingerichtet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10100
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