SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Für Gerd war in der letzten Woche ein ganz besonderer Tag. Und den hat er gefeiert. Der Tisch war liebevoll gedeckt. Es gab Frühstücksei und frische Croissants. In der Mitte auf dem Tisch stand ein Strauß bunter Blumen. Und neben Gerds Teller brannte eine große, weiße Kerze. Davor stand eine Karte mit den Worten: „Ich bin getauft“. Gerd hat seinen Tauftag gefeiert. Eigentlich ist er gar kein großer Feier-Mensch. Aber seinen Tauftag, den lässt Gerd nicht ausfallen. Der ist ihm wichtig. Und den feiert er – klein, aber fein. „Das war nicht immer so“, hat er mir erzählt. „Ich bin als Baby getauft. Daran kann ich mich natürlich nicht mehr erinnern. Und viele Jahre hat mir meine Taufe auch nichts be-deutet.“ Aber dann gab es in seinem Leben eine Zeit, die war sehr schwer: Seine Ehe war in einer Krise und auch in der Firma hatte Gerd Probleme. Er wurde entlassen und war arbeitslos. „Das alles hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen“, hat Gerd gesagt. Ich habe mich gefragt: Auf wen oder was kann ich mich denn überhaupt noch verlassen?“ In dieser Zeit kam sein erster Enkel zur Welt. Der wurde drei Monate später getauft in der Kirche. Von dem, was der Pfarrer damals gesagt hat, hat er nicht viel behalten, sagt Gerd. Aber – hat er mir erzählt – als das Kind über das Taufbecken gehalten wurde und der Pfarrer das Taufwasser über das Kind gegossen und es gesegnet hat – da hat es bei ihm eingeschlagen wie ein Blitz „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du gehörst zu mir.“ Das hat der Pfarrer bei der Taufe des Enkels gesagt. Und Gerd hat plötzlich daran denken müssen, dass es bei ihm genauso war. So was Ähnliches hat der Pfarrer damals bei seiner Taufe zu ihm sicher auch gesagt. Und auf einmal hat Gerd begriffen: Diese Zusage hat Gott nicht zurückgenommen. Sie gilt heute immer noch. Das hat ihm geholfen, sagt er. Für ihn war das damals der erste und der entscheidende Schritt aus dem dunklen Loch, in das er geraten war. Das liegt nun schon einige Jahre zurück, aber seit dem feiert er seinen Tauftag ganz be-wusst. Immer wieder sage er es sich vor: „Du bist getauft“. Das steht fest. Das kann ihm niemand nehmen. Und das möchte er auch seinen Patenkindern und Enkeln mitgeben. So schreibt Gerd seinen Patenkindern jedes Jahr zu ihren Tauftagen einen Brief. „In ei-nem Brief fällt mir das leichter zu sagen, als im direkten Gespräch“, meint er. Und au-ßerdem kann man so einen Brief immer wieder zur Hand nehmen und lesen. In den Briefen erzählt Gerd seinen Patenkindern, wie es war bei ihrer eigenen Taufe. Er ruft ihnen den Taufspruch in Erinnerung, den sie bekommen haben. Oder er erzählt, wa-rum ihm die Taufe so wichtig ist. „Ich wünsche mir“, sagt Gerd, „dass auch sie eines Tages ihre Taufe für sich entdecken.“ Teil II Gerd hat für sich entdeckt: Meine Taufe ist weit mehr als ein Ereignis in fernen Kinderta-gen. Darum feiert er seinen Tauftag und ruft sich in Erinnerung: „Ich bin getauft.“ „Ich trage einen berühmten Namen“, sagt Gerd mit Stolz in der Stimme. „Und dieser Name macht mich wertvoll. Dieser Name gibt mir Kraft und Selbstbewusstsein.“ Ich habe überlegt, was an dem Namen „Gerd“ so Besonderes sein soll, dass dieser Name ihn so aufbaut. Als er meine Gedanken errät, lacht er mich aus: „Es geht doch gar nicht um Gerd. Das ist mir bei der Taufe meines Enkels aufgegangen.“ Da hat der Pfarrer nicht gesagt: „Ich taufe dich auf den Namen Lukas“. Nein, der hat ge-sagt: „Lukas, ich taufe dich auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. „So muss es auch bei mir gewesen sein“, hat Gerd gesagt, „damals als ich selbst getauft worden bin. Da hat mich der Pfarrer auch nicht auf meinen Rufnamen getauft, sondern auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Das ist der Clou.“ Gerd hat mir erklärt, warum ihm das so wichtig ist: „Gott hatte ich jahrelang aus dem Blick verloren, hat er gesagt, und schon fast vergessen. Und dann habe ich bei der Taufe meines Enkels gehört: Wer getauft ist, trägt ja Gottes Namen.“ Da sei es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen: Ich bin ja gar nicht von Gott und al-len anderen verlassen. Ich bin ja gar nicht allein. Ich bin ja gar nicht wertlos. Ich trage einen berühmten Namen. Und da ist ja noch jemand, der hat versprochen, bei mir zu sein. Gerd sagt: „Wenn ich heute darüber nachdenke, dann ist das für mich so, als ob ich bei meiner Taufe einen weiteren Namen bekommen habe – sozusagen einen zweiten Famili-ennamen. Und dieser Namen sagt mir für alle Zeit, wohin ich gehöre.“ Das gibt ihm festen Grund unter die Füße, sagt Gerd. „Wenn ich weiß, zu wem ich gehö-re, dann weiß ich auch wo ich zu Hause bin: Bei Gott. Das kann mir keiner nehmen“. „Gott“, sagt er, „ist mein Vater im Himmel. Der steht zu mir, sogar dann, wenn ich mit mir und der Welt nicht im Reinen bin“. Gerd sagt, das will er nicht mehr vergessen. Darum feiert er seinen Tauftag und erinnert sich an seine Taufe. Mich beeindruckt, wie Gerd über seine Taufe reden kann. Und ich ahne: Da schlummert ein Schatz ganz tief in jedem, der getauft ist. Dieser Schatz kann gehoben werden. Das könnte damit beginnen, dass man sich auf Spurensuche begibt. Haben Sie schon mal nachgeforscht, an welchem Tag Sie getauft wurden? Und wo, in welcher Kirche das war? Wo der Taufstein steht? Und vielleicht gibt es ja auch ein spezielles Bibelwort, das gerade Ihnen bei der Taufe zugesprochen worden ist? Die Suche nach dem verborgenen Schatz lohnt sich. Vielleicht erleben Sie ja auch, wie das einem Halt gibt, diese Erinnerung: „Ich bin getauft“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10071
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