SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Sollte der Zweijährige jetzt nicht mit der musikalischen Früherziehung beginnen? Wäre es für die Vierjährige nicht gut, wenn sie spielerisch an die englische Sprache herangeführt würde?
Kleinkinder und ihre Eltern sind heute im Bildungsstress. Es gibt unzählige Angebote, den Kindern so früh wie möglich die beste und breiteste Förderung angedeihen zu lassen.
Unsere Tochter hat da allerdings sehr klare Vorstellungen, was sie möchte und was bitte nicht: „Englisch lerne ich in der Schule!" hat sie kategorisch erklärt und damit unsere Versuche, ihr mit einem lustigen zweisprachigen Wimmelbuch die Welt der Fremdsprachen zu eröffnen, jäh beendet.
Trotzdem können auch wir uns dem frühen Bildungseifer nicht ganz entziehen - in Zeiten, in denen Kindergärten nach dem „Einstein-Konzept" geführt werden und der Umgang mit Buchstaben und Zahlen dort so selbstverständlich ist wie der mit Malkreiden und Sandschaufeln.
Sicher, die Kinder profitieren davon, wenn ihr kindlicher Wissensdurst befriedigt wird - und gleichzeitig geht doch ein Stück Unbeschwertheit verloren. Bei denen, die gerne vorn dabei sind - und erst recht bei denen, die sich schwer tun mit den Anforderungen, die immer früher auf sie zukommen. Denn der Druck, die optimalen Startbedingungen für den späteren beruflichen Erfolg zu schaffen, ist inzwischen nicht nur in China, sondern auch bei uns schon im Kindergartenalter zu spüren.
Dabei warnt die christliche Tradition eigentlich davor, den Erfolg der Erziehung vor allem an schulischen oder wirtschaftlichen Maßstäben zu messen. Das Ziel des Lebens ist nicht der Erfolg, sondern die Ruhe und die Freude, erzählt schon die Schöpfungsgeschichte, und die Zehn Gebote machen es noch einmal ganz deutlich: Jeder Mensch hat das Recht auf einen Feiertag, braucht regelmäßig eine Auszeit. Und was für Erwachsene wichtig ist, gilt für Kinder allemal: Lieber mal ein wenig Langeweile als ständig verplant und beschäftigt zu sein.
Dass Kinder vielleicht mehr Ahnung davon haben, auf was es im Leben wirklich ankommt, als viele Erwachsene, darauf hat Jesus hingewiesen. Wie sie muss man sein, um ins Reich Gottes zu kommen, hat er gesagt (Markus 10,14). Ich als Erwachsene soll also von ihnen lernen. Aber das gelingt nur, wenn ich sie nicht zu früh meiner Agenda von wichtig und unwichtig unterwerfe, sondern ihnen Zeit gebe, sich zu entfalten, und mir Muße gebe, sie dabei zu begleiten.
Ich glaube übrigens, dass es für uns und unsere Kindern kein Wettbewerbsnachteil ist, wenn wir uns auf diese christlichen Traditionen besinnen. Im Gegenteil: Kreativität und Innovation entstehen, wenn auch mal eine Denkpause drin ist. Das englische Wimmelbuch darf also ruhig noch eine Weile im Regal warten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10007
weiterlesen...