SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

09DEZ2006
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Das Lukasevangelium hat uns ein wunderschönes Lied überliefert, das Lied der schwangeren Maria. „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes;“ singt Maria. “Gott hat große Dinge an mir getan!“. „Am Anfang war das Wort, und das Wort ward Fleisch“ heißt es in der Bibel. Fleisch wird dieses Wort in Maria, und so gewinnt ihr triumphierendes, jubelndes Lied einen ganz besonderen Klang. Das Kind, das sie erwartet, wird die Welt verändern, es wird die scheinbar fest gemauerten Gefüge der Welt umstürzen. Und so spannt sich das Lied der Maria tatsächlich wie in einem Bogen vom Moment vor der Schöpfung bis hin zum Paradies.
Weil es Maria ist, keine Prinzessin, keine reiche Dame, sondern ein unscheinbares, armes Mädchen aus Nazareth, aus einem verstaubten Städtchen am Ende der Welt, deshalb vollzieht sich schon an ihr, mit ihr, dieses umstürzende Handeln. Sie singt, und in ihr schwingt das Geheimnis der Welt, findet Gott seinen menschlichen Ton. „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen“, singt Maria, und anders kann es gar nicht sein, weil Gott seinen eigenen Blick hat, einen zärtlichen Blick auf alle, die sich öffnen für sein Lied, für seine Liebe, weil Gott sich nicht blenden lässt von dem, was unsere Augen verführt: Reichtum und Macht. „Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen“. Das ist ein garstiges, ein misstönendes Lied für die, die ihr Herz für die Bedürftigen und Armen verschließen, die sich verhärten und nicht barmherzig sein können. Marias Lied ist nicht gefällig, kein Wunder, dass ihr Kind, kaum geboren, schon bedroht wird und fliehen muss, mit seiner Mutter, mit ihrem Mann. Doch das kommt noch. Erst einmal ist das Kind geborgen in ihrem Leib. In Schwingung versetzt es allerdings schon jetzt, zuerst Maria, dann die Menschen, die ihr begegnen und die sich bewegen lassen von Gott, die sich mitfreuen können am Geheimnis der Welt, die es aushalten, das Gott die Welt verwandelt - und damit sie selbst.
„Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen,“ singt Maria, „siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.“
Ich weiß, eines Tages wird sein Klang die ganze Welt erfüllen.
Jedes Herz wird davon bewegt werden, weil dieses Lied nicht für sich allein gesungen werden will. Schon Maria singt es nicht für sich allein, sondern für ihr Kind, und später wird sie es auch für Josef angestimmt und sein Herz bewegt und erfüllt haben.
Das Lied der Maria, so finde ich, ist der Ursprung des Advents, des singenden, jubelnden Wartens auf das Kind, das unsere Welt verändert, des Wartens auf das Geheimnis der Welt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=280
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