SWR2 Wort zum Tag

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07DEZ2006
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Mein Friseur macht sich Sorgen. Das große Einkaufszentrum in Hessen, in dem er arbeitet, hat seit dem 1. Dezember jeden Abend bis 22.00 Uhr geöffnet, an den Adventssonntagen bis 20.00 Uhr. Wenn die Konkurrenz, so überlegt er, sogar bis 24.00 Uhr öffnet, dann wird sein Zentrum nachziehen. “Wie regeln Sie das denn mit Ihrem kleinen Kind?” frage ich ihn. “Meine Frau und ich wechseln uns ab. Aber mit den neuen Öffnungszeiten ist das schwierig geworden. Und wir müssen ja beide arbeiten, sonst können wir die Wohnung nicht bezahlen. Frankfurt ist teuer. Als Familie sehen wir uns aber kaum noch, das ist schon klar. Wenn die Öffnungszeiten wirklich dauerhaft bis 24.00 Uhr ausgedehnt werden, dann muss ich mir eine andere Arbeit suchen, das halten wir drei nicht durch.” Selbst wenn es Kindergärten gäbe, die bis Mitternacht geöffnet hätten - familienfreundlich sind die neuen Öffnungszeiten nicht. Die Kirchen und die Gewerkschaften haben das oft genug angemahnt. Geändert hat das nichts. “Am besten wäre es, wenn die Verbraucher mit den Füßen abstimmen und das Geschäft nach 20.00 Uhr einfach nicht mehr läuft,” überlege ich. Mein Friseur schüttelt resigniert den Kopf. “Die Leute kommen hier mit Kind und Kegel an und bleiben den ganzen Tag im Zentrum, das ist für viele das Familienprogramm.”
Vor der Tür des Salons klingeln die Glöckchen. In der Tat, ich vergaß - das Paradies ist schon da, allerdings anders, als ich es im Theologiestudium gelernt habe. Der Garten Eden ist im Einkaufsparadies erschienen, Familienglück verheißt der Besuch im Konsumtempel. Als ich das Einkaufszentrum verlasse, sitzt die Frisur perfekt. So richtig glücklich bin ich nicht. Wo bleibt der freie Tag, die Ruhezeit, die Gott seinen Menschen geschenkt hat, in der Welt der Einkaufszentren, in der Arbeitsrealität eines berufstätigen jungen Paares mit Kind?
Ich merke, wie sehr ich den Feierabend brauche, unverplante, freie Zeit mit meinem Kind. Andere brauchen das offensichtlich nicht. Und viele, die es bräuchten, für die ist das ein Luxus, den sie sich nicht leisten können oder der ihnen verwehrt wird.
Trotzdem möchte ich die Forderung nach diesem Luxus nicht kampflos aufgeben. Für meinen Friseur, für seine kleine Familie. Das Paradies sieht anders aus, als es das Einkaufszentrum vorgaukelt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=278
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