SWR4 Abendgedanken BW

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Einer der schönsten Adventsbräuche ist der Adventskranz. Es kommt einem vor, als gebe es den schon immer. Dabei ist dieser Brauch kaum 200 Jahre alt. Wissen Sie, woher er kommt?
Pfarrer Johann Hinrich Wichern hat vor 170 Jahren in Hamburg ein Waisenhaus eingerichtet und obdachlose Kinder und Jugendliche im "Rauhen Haus" aufgenommen. Für die hat er den Adventskranz "erfunden".
Die Kinder kamen aus einer Umgebung, in der Diebstahl, Lüge, sogar Totschlag zur düsteren Wirklichkeit gehörten. Was Bosheit und Unrecht ist, das wussten diese Kinder also und die liebevolle Zuwendung bei ihrer Aufnahme im Rauhen Haus konnte das nicht einfach ausgleichen.
Sie sollten erleben, dass sie mit Gottes Liebe ein neues Leben anfangen konnten. Viele von ihnen hatten Schlimmes erlebt. Sie hatten gelernt, dass man treten muss, wenn man nicht immer nur getreten werden will. Die schlimmen Taten dieser Kinder waren offensichtlich. Aber Wichern wollte ihnen zeigen: Eine dunkle Vergangenheit legt einen Menschen nicht auf ein Leben im Schatten fest.
Wenn er sie in sein Rauhes Haus aufnahm, redete er deshalb von Vergebung. "Dir sind deine Sünden vergeben!" Diese Zusage sollte die Liebe Gottes ausdrücken, die gerade denen gilt, die durch eigene oder fremde Schuld auf dunkle Wege geraten sind. Die dunkle Vergangenheit sollte nach und nach dem Licht weichen.
Damit die Kinder das wirklich glauben konnten, sollte das auch sichtbar, spürbar gefeiert werden. Andachten und Singstunden im Rauhen Haus waren stimmungsvolle Lichterfeste; unzählige Kerzen brachten Licht und Wärme in diese Feiern. Deshalb dann auch der Adventskranz.
1839 ließ Wichern im Betsaal einen hölzernen Leuchter mit 23 Kerzen aufhängen. Jeden Tag vom 1. Advent bis zum Heiligen Abend wurde eine weitere Kerze angezündet.
Das hölzerne Rad wurde einige Jahre später mit Tannengrün umwunden und allmählich verbreitete sich so die Idee des Adventskranzes, wenn sich auch die Zahl der Kerzen auf vier verringerte. Im Rauhen Haus wird die Tradition noch unverändert bewahrt.
Schlimme Taten und Erlebnisse können nicht ungeschehen gemacht werden, die Schatten der Vergangenheit kann man nicht einfach verdrängen. Mit jeder weiteren Kerze aber am Adventskranz sollte das Licht die Zukunft der Kinder ein wenig heller zeigen, weil sich ihnen der liebende Gott nähert.
Dieses Zeichen zunehmenden Lichts am Adventskranz macht Dunkles, das ich erlebt habe, auch nicht ungeschehen, aber es kann mir Gottes Liebe einleuchtend machen.
So wünsche ich Ihnen "erhellende" Stunden unterm Adventskranz!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=246
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