SWR1 Begegnungen

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Allerheiligen erinnert daran, dass die Wege zum Himmel so vielfältig sind wie die Menschen, Umwege eingeschlossen. Anselm Bilgri war lange Jahre Chef des berühmten Kloster Andechs. Jetzt leitet er ein Zentrum für Unternehmenskultur in München:

Ich möchte diese 30 Jahre Klosterleben absolut nicht missen, aber da spielt es gar nicht so eine große Rolle, ob ich da mit dem Habit da vorn dran stehe oder im Anzug. Wenn man das Gefühl hat, der ist nicht mehr im Kloster, sondern lebt jetzt außerhalb, aber versucht eine seelsorgliche, priesterliche Existenz aufrecht zu erhalten, dass dann diese Schwellenangst, die oft klösterlichen oder kirchlichen Institutionen gegenüber besteht, dass die dadurch nicht mehr da ist.

Sein Name stand vor zwei Jahren in allen Zeitungen: Anselm Bilgri, Prior im Kloster Andechs, erfolgreicher Chef der Brauerei- und Klosterbetriebe, verlässt den „heiligen Berg“ Bayerns. Managerkurse, Kulturevents und eine eigene Fernsehsendung waren mit seinem Namen verknüpft. Heute lebt und arbeitet mitten in München, unweit vom Lehnbachhaus und TU zeigt ein kleines Messingschild, das man richtig ist: Anselm Bilgri – Zentrum für Unternehmenskultur.
Mit früheren Mitarbeitern hat er diese Firma gegründet. Eine Unternehmensberatung, die auch große Konzerne zu ihren Kunden zählt, aber anders antritt als die McKinseys der Branche:

Unser Beratungsansatz geht ja ganz wesentlich vom Menschen aus und da ganz besonders vom Menschenbild, das in unserer christlich geprägten Tradition tradiert wird. Unternehmensberatungen, die hauptsächlich auf Bilanzberatung, Kostensenkung aus sind, da sind die Zahlen der Erfolgskoeffizient. Aber ich glaube, wir haben so einen Ansatz, dass wir sagen: der Mensch im Mittelpunkt; wenn der richtig angefasst wird, wenn er richtig in seiner Verantwortungsbereitschaft auch eingesetzt wird mit den Talenten und Potentialen, die er hat, dann ist er eigentlich der größte Erfolgsfaktor in einem Unternehmen.

Als Anselm Bilgri das Kloster verließ, versprach er, weiterhin Seelsorger sein zu wollen. Das ihm das gelingt, hört er oft:

Es kommen viele Leute anschließend zu mir und sagen: jetzt haben sie mir die Augen geöffnet, wie hilfreich Religion auch im wirtschaftlichen Bereich sein kann und in der Gestaltung meines eigenen Lebens. Ich persönlich empfinde mich vielleicht sogar als ein Benediktinermissionar in einer ganz neuen Form.

Nach wie vor ist Anselm Bilgri Priester, wenn er auch seinen Orden verlassen hat – nach reiflicher Überlegung:

Also ich denke sicher, dass das als ein Bruch erfahren wird von außen, aber auch bei mir. Es ist doch klar, wenn man in ein Kloster eintritt und da seine feierlichen Gelübde ablegt, da hat man erst mal vor, sein Leben lang dabei zu bleiben. Aber ich hatte schon in den letzten Jahren in meinem Klosterleben das Gefühl, wenn ich das jetzt nicht mehr als das Fundament meines Lebens erfahre, dann muss ich wegen der Ehrlichkeit mir selber gegenüber diesen Schritt vollziehen und nach außen gehen, ohne aber dabei meine Gläubigkeit oder meine christliche Grundhaltung zu verleugnen.

Wie Anselm Bilgri mit dem Abschied aus dem Orden umgeht, das hat auch etwas mit dem zu tun, was er selbst als eine Reifung seiner religiösen Einstellung beschreibt:

Also mein Gottesbild hatte sich ja auch geändert. So wie ich mit 21 Jahren ins Kloster eingetreten war, da hatte ich eigentlich ein sehr angstbesetztes Verhältnis zu meinem Herrgott und so das Gefühl: wenn ich jetzt mein Leben hingebe für die Kirche, erdiene ich mir sozusagen sein Wohlwollen. Wozu ich heute sage: das ist eigentlich eine heidnische Einstellung. Plötzlich entdecke ich, dass dieses Gottesbild eigentlich falsch ist und ich begegne in der Bibel und in meinem persönlichen Gebet plötzlich diesem Gott, der sich in Jesus ohnmächtig hingibt und solidarisch mit mir ist. Und bei der Begründung meines neuen Lebens brauche ich keine Angst vor ihm zu haben.

Woran es auch gelegen haben mag, dass sich der Benediktinerkonvent und sein Prior auseinander lebten. Es mag sein, dass die Mönche das Verhältnis zwischen Bier und beten als zu ‚bierlastig’ ansahen. Freilich darf man nicht übersehen, dass mit den Erlösen aus Andechs die Sozial- und Obdachlosenarbeit im Münchener Kloster St. Bonifaz finanziert wird oder auch die Restaurierung der barocken Andechser Wallfahrtskirche. Wie dem auch sei, Anselm Bilgri hat so mache Erkenntnis aus dem Kloster ins Wirtschaftsleben übertragen:

Man kann sogar sehr viel mit rübernehmen, die Strukturierung des Tages. Und da versuchen wir in unseren Kursen den Leuten Hilfsmittel zu geben, die Zeit nicht einfach verstreichen zu lassen; zu ritualisieren, solche Punkte des Sich-Besinnens. Sagen wir mal, es tut jedem Manager gut, und wenn es nur fünf Minuten am Tag sind, inne zu halten und mal über den Sinn seines Tuns nachzudenken. Da gibt es ein wunderschönes Wort von Bernhard von Clairvaux, der sagt: du musst es nicht oft machen, du musst es auch nicht ständig machen, aber immer mal wieder. Das sind so die kleinen Punke des Alltags, wo man klösterliche Erfahrung weiter geben kann.

Bleibt natürlich immer noch die Frage, ob man Gott und dem Mammon dienen kann?
Für Anselm Bilgri liegt darin kein entweder- oder, sondern die Frage: was auf meiner Werteskala weiter oben rangiert.

Natürlich, wenn der Mammon das Höhere ist, dann ist er ein Götze, und das ist es eben: wenn ich den Mammon als einen Götzen betrachte, von dem ich glaube, dass ich in meinem Selbstwertgefühl davon abhängig bin, da hilft ja gerade die Religion, dafür zu sorgen: worum geht es denn eigentlich im menschlichen Leben? Da kann Geld, Wirtschaft, Ökonomie ein ganz wichtiges Hilfsmittel sein, aber es kann nicht der eigentliche Zweck und Endziel sein.

Während seiner Zeit als Prior hat das Geschäft den Pater Bilgri nie davon abgehalten, Bibelabende zu halten. Und so möchte ich eine seiner Lieblingsstellen kennen lernen.
Zu meiner Überraschung nennt er das Wort: „wer dich auf die rechte Wange schlägt, dem halte auch die andere hin“ (Mt 5,39) und erläutert es auch:

Das ist eine ganz moderne Deeskalationsstrategie. Also du darfst nicht immer sofort, wenn dir irgendetwas Unangenehmes widerfährt, mit einem Gegenargument zurück schlagen, sondern du musst zuerst mal das Argument auf dich wirken lassen und dadurch vermeidest du eine sich aufbauschende Konfrontation. Das ist also für mich ganz toll. Deshalb sage ich: nicht nur mit der Benediktsregel, auch mit der Bergpredigt kann man ein Unternehmen führen.

Nach dieser Erklärung musste Anselm Bilgri mir noch ein eigenes Zitat erläutern, nämlich: Gemütlichkeit sei essentiell fürs bayerische Wesen, schreibt er in seinem Stundenbuch eines weltlichen Mönchs.
Wenn man Gemütlichkeit mit ‚Bierdimpflichkeit’ verwechselt, dann stimmt das sicher nicht. Aber Gemütlichkeit heißt leben und leben lassen, andere so sein lassen wie sie sind und gleichzeitig auch selber loslassen können. Und das drückt sich halt am schönsten aus, wenn man miteinander in einem Gasthaus am Biertisch sitzt, nicht dumpf, sondern freundlich und lieb und intelligent miteinander spricht und dabei diese Gemeinschaft erfährt. Auch das Bild, dass Jesus mit seinen Freunden immer wieder bei Tisch sitzt, das hat ja auch durchaus etwas von dieser Gemütlichkeit. Und das gilt nicht nur für Bayern, das gilt überall, wo Menschen zusammen sind.

Ein Mönch ist Anselm Bilgri nicht mehr, aber geblieben ist er ein Mensch, ein Geistlicher, der seine Herkunft aus einem Gasthaus nicht verleugnen kann. https://www.kirche-im-swr.de/?m=214
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