Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

„Pfarrers Kinder, Müllers Vieh geraten selten oder nie.“ Diese Volksweisheit drückt die Erfah-rung aus, dass aus den besten Familien die schwierigsten Kinder kommen können. „Von wem er das nur hat“ ist dann die erstaunte Frage. Und die Antwort liegt ebenso leicht auf der Hand: „Von irgendjemand muss er’s ja haben.“ Vielleicht ist die zur Schau gestellte gute Bürgerlich-keit der Familie nur Fassade, wer weiß, was dahinter steckt. Oder vielleicht haben die Eltern es auch übertrieben. Sind es nicht gerade die besonders frommen Eltern, die ihren Kindern das Interesse an Kirche und Religion ein für allemal durch ihre eigene Frömmelei austreiben?
Gerade das aktuelle öffentliche Interesse an der Familie in unserem Land sieht ebenfalls einen sehr engen Zusammenhang zwischen dem Leben der Eltern und dem, was aus ihren Kindern wird.
Zu biblischer Zeit gab es das verbreitete Sprichwort: Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Söhnen werden die Zähne stumpf. Offenbar eine weitere Bestätigung der These, dass das Handeln der Eltern darüber entscheidet, was aus den Kindern wird. Doch so einfach ist es offenbar nicht. Die Propheten Jeremia und Ezechiel wenden sich schon vor vielen hundert Jah-ren ausdrücklich gegen dieses Sprichwort. Ezechiel verbietet im Namen Gottes sogar dessen Gebrauch. Er unterstreicht, dass aus der Sicht Gottes jeder für sich selbst verantwortlich ist. Weder muss der Vater für die Schuld des Sohnes gerade stehen, noch trägt der Sohn Verant-wortung für die Fehler des Vaters.
Diese biblische Kritik an einer allzu schnellen Verknüpfung von elterlichem Handeln und kindli-chem Verhalten kann vor Einseitigkeiten schützen. Natürlich hat das Elternhaus prägenden Einfluss und entsprechende Verantwortung. Vieles wird schon bei der Geburt des Kindes gene-tisch vorgegeben, vieles durch elterliche Verhaltensweisen weitergegeben. Doch zugleich gilt auch, dass jede Generation ihr eigenes Leben lebt und dass der Einfluss der Eltern auf ihre Kinder häufig weitaus geringer ist als mancher Berufspädagoge oder Politiker sich das vorstellt. Das ist auch gut so. Jede Generation braucht ihre eigene neue Chance, trotz aller elterlichen Prägung. Und Eltern müssen sich umgekehrt nicht bis ins hohe Alter für alles grämen, was die Kinder aktuell anrichten. Gott sei Dank werden den Söhnen nicht zwangsläufig die Zähne stumpf von den sauren Trauben der Väter.
Mario Junglas, Mainz, katholische Kirche
https://www.kirche-im-swr.de/?m=200
weiterlesen...