SWR4 Abendgedanken BW

SWR4 Abendgedanken BW


Ein Indianer besucht einen weißen Mann in einer amerikanischen Großstadt. Die beiden gehen im Lärm der hupenden Autos und der ratternden Omnibusse die Straße entlang. Da bleibt der Indianer stehen: „Ich höre eine Grille zirpen.“ Der Weiße antwortet: „Hier gibt es keine Grillen, außerdem würde man sie in diesem Lärm überhaupt nicht hören.“ Der Indianer geht ein paar Schritte zu einer Hauswand, schiebt einige Blätter wilden Weins zur Seite – da sitzt tatsächlich eine Grille. Der Weiße sagt: „Indianer können eben besser hören als Weiße.“ „Da täuscht du dich“, erwidert der Indianer und wirft ein 50-Cent-Stück aufs Pflaster. Es klimpert auf dem Asphalt, und sofort drehen sich die Leute um. „Siehst du“, sagt der Indianer, „das Geräusch, das das Geldstück gemacht hat, war nicht lauter als das der Grille. Und doch hören es viele der Weißen. Der Grund liegt darin, dass wir alle stets das gut hören, worauf wir zu achten gewohnt sind.“ (Joachim Feige, Renate Spennhoff, Hrsg., Wege entdecken, Gladbeck und Stuttgart 1980, S. 146) Was will ich hören? Worauf achte ich? Worauf soll ich hören? – Eine spannende Sache! Inzwischen ist da noch etwas passiert und hat die Welt verändert. Überall sind Menschen zu sehen, die sprechen, ohne ein Gegenüber zu haben. Überall Leute, die Selbstgespräche führen: im Gehen, im Stehen, im Sitzen. Auf der Straße, im Gasthaus, im Zug – überall und oft laut. Ohne Rücksicht auf andere und was die gerade hören oder nicht hören wollen. Das ist mitunter lästig und ärgerlich. Ich wanderte auf der Schwäbischen Alb. Ich begegnete niemandem. Zwei Stunden alleine. Es war eine heilige Stille. Ab und an stimmte ein Vogel sein Lied an. Es gibt Augenblicke, in denen nur in der Stille der Klang der Welt zu hören ist. Bis einer kam, der alles zerstörte. Einer dieser geschwätzigen Selbstredner latschte durch die Landschaft und brüllte: „Was – hörst du mich? Ich dich gerade schlecht. Doch, jetzt höre ich dich wieder besser.“ Und so ging er weiter und verunreinigte diese gesegnete Landschaft mit seinem akustischen Müll. https://www.kirche-im-swr.de/?m=174
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