SWR1 Begegnungen

SWR1 Begegnungen

2400 Seiten ist sie dick, die neue Bibelübersetzung in „gerechter Sprache. Übermorgen am Reformationstag wird sie feierlich im Gottesdienst eingeführt.
Hier wird die Bibel gefälscht, weil von Anstößigem gesäubert, kritisieren die einen.
Hier wird nur die Bibel weitergeschrieben- nach dem ihr eigenen Maßstab der Gerechtigkeit, sagt Hanne Köhler. Sie ist Pfarrerin und war von Anfang an dabei. Das war auf den evangelischen Kirchentagen vor 20 Jahren. Sie erinnert sich noch gut an die Frage: „Müssten wir nicht die Bibel übersetzen?“

Und dann sagte ich: Ich nicht! Ich hab mein Leben genug für gerechte Sprache getan. Und dann haben sie mich doch überredet, dass ich darüber nachdenke, wie so ein Projekt entstehen könnte.
Und daraus wurde eine 5jährige Beauftragung ihrer Hessen- Nassauischen Kirche, dieses Projekt zu koordinieren und deren Ergebnisse zu verantworten.

Teil 1
Der Job, der mir wenig Arbeit macht, muss erst noch erfunden werden, sagt sie und lacht. Es ist Abend und sie muss nach dem Gespräch mit mir noch in einen Vortrag in einer Gemeinde halten. Aber ihr Mann, der gerade nach Hause gekommen ist, kümmert sich die beiden Söhne.
Das ist sie, sagt sie und legt das dicke Buch mit dem beigen Einband vor mich hin. „Bibel in gerechter Sprache“ steht drauf. Das ist Programm, die Brille, mit der die Übersetzerinnen und Übersetzer ans Werk gegangen sind.

Es geht vor allem darum, dem roten Faden der Bibel „Gerechtigkeit“ zu entsprechen. Das entfalten wir in vier Dimensionen. Das eine ist Textgerechtigkeit.

Also: Was steht im Urtext der Bibel? Heiß diskutiert: welches deutsche Wort soll dort stehen, wo bisher „Gott“ oder „Herr“ stand?

Viele Leute wissen heute gar nicht mehr, dass Gott in der Bibel einen Namen hat, eben nicht einfach Gott ist, sondern eigenen Namen hat. So wie ich Hanne heiß, hat Gott einen Namen, der ist allerdings unaussprechlich. Stattdessen werden im Judentum verschiedene Ersatzworte gesagt. Und so was Ähnliches haben wir auch in der Bibel in gerechter Sprache gemacht.

Und so sieht man im Text grau gemarkert Worte wie: der Ewige, die Lebendige oder Adonaj- alles Umschreibungen des Gottesnamens, um so auch dem jüdischen Denken gerecht zu werden. Das Dritte Thema: Frauen. Sie werden einfach immer eigens genannt, wo sie mitgemeint sind. Aus Brüdern werden so Geschwister aus Jünger werden Jünger und Jüngerinnen. Und was ist mit den berühmten Stellen wie: das Weib schweige in der Gemeinde? Das, sagt Hanne Köhler, steht natürlich genau so drin.

Aber was wir Besonderes an der Stelle machen, wir haben kleine Bibelstellenhinweise am Rand. Und wenn sie die nachschlagen, stellen sie fest, dass in der Bibel Frauen eben ganz und gar nicht geschwiegen haben, sondern die waren Apostelinnen, Gemeindeleiterinnen und dann müssen Sie eben mit Verstand die Bibel lesen und sagen: an der Stelle steht das und wenn ich die anderen Stellen nachschlage, steht das. Und dann können Sie überlegen: was entspricht denn dem Evangelium?
Und wenn man noch mehr Hilfe dabei möchte, findet man hinten in der Bibel ein Glossar, in dem wichtige Begriffe der hebräischen oder griechischen Ursprache erklärt werden. Alles in Allem: eine Bibel, mit der man arbeiten und die eigenen kulturellen Wurzeln entdecken kann- die christlich- jüdischen. Über 300 Gruppen und Einzelpersonen haben mit Übersetzungsproben bereits gearbeitet und ihre Erfahrungen an Hanne Köhler rückgemeldet.

Ich glaube, es trifft auf eine ganz große Sehnsucht, einmal innerhalb von Kirche. Da haben es so viele Leute satt, sich immer nur mit Sparen, Finanzen und Strukturen zu beschäftigen, da haben die Lust einfach mal wieder an das zu gehen, was sie begeistert hat oder warum sie Christinnen geworden sind. Und da ist die Bibel das Beste, die beste Grundlage für ein Gespräch.

Doch die Frage bleibt: befreit diese Bibelübersetzung von blinden Flecken und Verzerrungen vorangegangener Übersetzungen, oder stülpt sie dem alten Text eine moderne Ideologie über? Es bleibt spannend.

Teil 2
Man kann diesem 2400 Seiten dicken Buch viel vorwerfen, doch ein unbedachter Schnellschuss war es nicht. Fünf Jahre haben 52 renommierte BibelforscherInnen und – forscher ehrenamtlich viele Stunden lang ganze Bücher übersetzt, diese Übersetzung kam in einen 4 fachen internen Gegenleseprozess im Übersetzerkreis. Dann- und das dürfte einmalig sein- haben 300 Gemeindegruppen mit den vorläufigen Übersetzungen gearbeitet und ihre Erfahrungen damit zurückgemeldet.

Die spannendsten Rückmeldungen fand ich immer, wenn die Leute ganz vehement Einspruch gelegt haben und dann hinterher gesagt haben: das liegt aber nicht an euren Übersetzungen, das liegt daran, dass ich zum ersten mal in meinem Leben verstanden hab, was da in meinem biblischen Text eigentlich steht und da bin ich strikt dagegen, so kann ich mir Gott nicht vorstellen.

Hanne Köhler hat diese Rückmeldungen gesichtet und an die Übersetzerinnen und Übersetzer weitergeleitet, die dann noch einmal eine Runde nachgedacht haben.

Am Ende habe ich dann noch mal vier weitere Korrekturschritte mit der Bibel in Gerechter Sprache verbracht. Ja, ich habe in diesem Sommer sehr viel Bibel gelesen, denke immer noch, dass es ein total spannendes Buch ist. Jedenfalls haben wir dieses Buch sehr sehr oft von unterschiedlichen Perspektiven gelesen.

400 000 Euro Spenden von Gruppen und Einzelpersonen in Deutschland, der Schweiz, Österreich und den USA kamen während der 5jährigen Arbeit zusammen. Immer genug, um die gemeinsamen Tagungen der Übersetzerinnen und Übersetzer zu finanzieren. So war die Gruppe völlig unabhängig von einer Kirchenleitung. Allein ein Beirat unter dem Vorsitz des Präsidenten der Hessen – Nassauischen Landeskirche hat die Gruppe beratend begleitet. Aber Heute erscheint es fast wie ein Wunder, dass diese Bibelübersetzung fristgerecht nach 5 Jahren fertig wurde.
Ihre Anfänge liegen weit zurück. Auf dem evangelischen Kirchentag in Frankfurt vor 20 Jahren hat Hanne Köhler mit anderen Frauen der evangelischen Frauenarbeit ein Heft erarbeitet mit der Forderung nach einer inklusiven, frauengerechten Sprache bei den Bibelübersetzungen. Das haben sie dann verteilt…
…und sind in manchen Messehallen mit Hohn und Spott übergossen worden, wie man denn so was Verrücktes einfach machen könnte. Aber ab 1989 hat der Kirchentag gesagt, das ist ein berechtigtes Anliegen, da muss es eine exegetische Arbeitsgruppe geben und die haben dann die Texte, die jeweils für die Kirchentage vorgesehen sind, übersetzt.

Für Hanne Köhler ist diese Bibelübersetzung der Schlusspunkt unter eine Arbeit, die vor 20 Jahren begann, mit 7 Leuten, wie sie sich erinnert.
Da sitzen so 7 Leute im Garten und überlegen sich so was für den Kirchentag, machen ein Heft und dann zieht das Kreise und 20 Jahre später gibt’s ne Bibel.

Eine Bibel, die entrümpelt ist von fremder, unverständlicher Sprache, eine Bibel, die mit ihren Querverweisen und einem Glossar zum Weiterforschen anregt und zum Austausch. Ich finde: ein wunderbares Arbeitsbuch und rate Ihnen: legen Sie diese Bibel neben die Übersetzung von Martin Luther und schauen Sie die Unterschiede an. Sie werden erstaunliche Entdeckungen machen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=115
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