SWR4 Abendgedanken BW

SWR4 Abendgedanken BW

Erinnerung ist die Amme der Hoffnung. Ich möchte Ihnen heute Abend erzählen, warum ich diesen Satz so wichtig und so richtig finde. Warum ich glaube, dass wir sie ganz drin-gend brauchen, diese Amme der Hoffnung, die Erinnerung. Ich jedenfalls brauche sie, gerade an dunklen Abenden im November.
Eine Amme nährt die Kinder, damit sie wachsen und groß werden können und sich dann selber ernähren. Was klein ist und schwach, braucht eine Amme. Manchmal ist die Hoff-nung klein und schwach. Dann sagt man: es hat doch keinen Sinn, daraus wird nie was. Oder, noch schlimmer. Das hat doch keinen Sinn, die Menschen sind nun mal böse und eigensüchtig – da muss jeder selbst sehen, wie er fertig wird. Mir schenkt auch keiner was. Solche Gedanken können einen völlig mutlos machen – vor allem dann, wenn man merkt: ich schaffe es nicht allein. Eigentlich brauche ich Hilfe. Viele geben dann auf, weil sie glauben: mir wird niemand helfen. So ist die Welt.
An solchen Abenden, wenn man so drauf ist – dann braucht man die Erinnerung, die Amme, die die Hoffnung nährt. Die Erinnerung an gute Erfahrungen, die mir zeigt. Da-mals habe ich es doch auch geschafft und es ist alles gut geworden. Man muss nur an-fangen, dann finden sich auch Helfer und dann findet sich Hilfe. Es gibt Menschen, die helfen, Menschen oft, von denen man es gar nicht erwartet. Und wo sie einander helfen und beistehen, da wird das Leben gut. Da wird es hell. Manchmal braucht es dafür gar nicht so viel.
Es ist wichtig, dass wir einander daran erinnern. Vielleicht noch wichtiger, das wir solche Erinnerungen an unsere Kinder weiter geben. Damit in ihnen die Hoffnung wachsen kann und sie stark macht.
Deshalb sind Abende wie der heute so wichtig. Abende, an denen Menschen einander Hoffnung machen, indem sie Erinnerungen wach halten. Heute sind in vielen Orten die Martinsumzüge der Kinder. (Morgen, an seinem eigentlichen Gedenktag, ist ja Samstag, da sind Kindergärten und Schulen geschlossen.) Auf seinem Pferd reitet der Soldat Martin mit Helm und Schwert und Schild dem Laternenumzug der Kinder voraus. Und irgendwo kniet, wie damals vor über tausend Jahren, ein Bettler in seinen Lumpen und Martin hält sein Pferd an und gibt dem frierenden Mann die Hälfte von seinem Mantel. Für die Kinder heute teilt er mit dramatischer Geste das Tuch mit seinem Schwert. Und die Kinder be-greifen, dass das gut so ist und dass die Welt ein bisschen heller wird, wo Menschen das so machen. Deshalb tragen sie ihre Laternen durch den Abend. Davon singen ihre Lieder. Mit dem Martinsumzug geben wir ihnen eine Erinnerung weiter. Und in den Kindern wächst die Hoffnung wächst. Wenn wir aufeinander achten und einander beistehen, dann bleibt es nicht dunkel.
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