SWR3 Gedanken

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28JAN2023
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Ich sitze in der Vesperkirche und rede mit Gästen. Jeden Tag bekommen hier etwa 600 Menschen ein warmes Mittagessen, selbstgebackenen Kuchen und einen Vesperbeutel für den Abend. Dazu Beratung und medizinische Versorgung. Die Gäste leben in sehr unterschiedlichen Situationen. Manche kommen jeden Tag, so wie die zwei Frauen, die mir gegenübersitzen. Ich weiß schon, dass sie Ukrainerinnen sind. Ich habe geübt ‚Guten Appetit‘ auf ukrainisch zu sagen: ‚Smac noho‘ sage ich, sie freuen sich und antworten ‚spassiva‘. Damit ist mein ukrainisch erschöpft aber eine Tür ist geöffnet.

Ich frage sie auf englisch, wo sie herkommen und seit wann sie in Deutschland sind. Es ist schon über ein halbes Jahr, sie sind aus Mariupol geflüchtet. Die Mutter ist Ärztin, die Tochter hatte einen Laden. Sie war schwanger auf der Flucht, das Kind ist zu früh gekommen, ein Kaiserschnitt, aber jetzt ist alles gut.

Ich möchte verstehen, wie sie hier leben und wie es mit ihnen weitergehen kann. Sie machen einen Deutschkurs, die Mutter hofft, dass ihr Abschluss anerkannt wird, als Psychiaterin will sie wieder Menschen helfen. ‚So vielen geht es schlecht, vielen Menschen aus der Ukraine‘, sagt sie aber sie darf hier nicht arbeiten obwohl sie für andere Menschen aus der Ukraine da sein könnte. Ob sie sich vorstellen können jemals zurückzukehren, frage ich. Da fängt die Mutter an zu weinen. Sie erklärt, ‚wenn ich an meine Stadt denke, dann denke ich nur an den Krieg. Ich sehe die toten Menschen auf der Straße und ich rieche Verwesung. Nein ich kann nicht zurück.‘

Ob ich ihnen irgendwie helfen kann, frage ich. Sie kehren mit den Gedanken in die Kirche zurück. ‚Nein, wir brauchen nichts. Alle kümmern sich so wunderbar um uns.‘

Da stimmen auch Oksana und Luba zu. Sie kommen auch aus der Ukraine, Oksana aus Odessa, Luba auch aus Mariupol. Auch sie fängt sofort an zu weinen, als ich danach frage. Monate hat sie im Keller gesessen ohne Wasser, ohne Licht. Aber dann erklärt Oksana ‚You know: Luba means love.‘ Luba bedeutet Liebe. ‚Wie hier in der Kirche‘ meint Oksana, ‚just love‘ – einfach Liebe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36971
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