SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

25NOV2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Zwischen meinem Vater und Justin liegen mindestens 65 Jahre. Mein Papa ist 87 und Justin Anfang 20, schätze ich mal. Der junge Pfleger war erst ein paar Mal da, aber die zwei haben sich gleich verstanden.

Gar nicht so selbstverständlich, denn Justin hat ziemlich viel, was meinem Vater fremd ist: eine coole Frisur, zwei Piercings und für die Ohren meines Vaters einen seltsamen Namen. Trotzdem hat er sich schnurstracks bei Justin eingehakt und dann sind sie zusammen ins Badezimmer. Während Justin Papa geduscht hat, hab ich die beiden ganz schön viel reden hören. Und danach hat mein Vater gemeint: „Der Justin darf wiederkommen.“

Mir macht das Hoffnung, dass so ein cooler Typ wie Justin Altenpfleger gelernt hat und jetzt meinen Vater versorgt. Gleichzeitig befürchte ich schon, dass Justin bald wieder abspringt. Das Geld, das er in der ambulanten Pflege verdient, reicht bestimmt hinten und vorne nicht.

Ein Bekannter von mir kennt sich in der Pflegebranche super aus, er hat mir erklärt: „Die Wartelisten in den Pflegeheimen werden immer länger und gleichzeitig stehen reihenweise Zimmer frei. Alle suchen händeringend Personal, aber im Moment tut sich gar nichts. Also bleiben die alten Menschen auf der Strecke.“

Das sagt er zu mir und ich weiß: damit die ganze Pflegebranche einigermaßen gut in die Zukunft kommt, braucht es politisch extrem viel Unterstützung und eine Menge Geld. Da kann ich erstmal nicht viel tun, aber ich kann laut und deutlich sagen:

Ohne Justin und viele andere sähen wir alle echt alt aus. Deswegen rolle ich für sie innerlich einen riesigen roten Teppich aus und wünsche mir, dass sich immer wieder junge Menschen für diesen Beruf entscheiden können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36571
weiterlesen...