Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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06JUL2022
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Immer wieder werde ich gefragt, wie es uns im Ahrtal geht, so knapp ein Jahr nach dem schrecklichen Flutereignis. Ich berichte dann, wie wir Schritt für Schritt mit der Sanierung weiterkommen, dass es ein langer, mühsamer Weg ist, aber wir auch glücklich sein können, dass unser Haus noch stabil steht und kein Öl in die Wände eingedrungen ist. Denn dann müssten wir es abreißen.

Für Außenstehende ist oft der Gedanke am Schlimmsten, mit den Erinnerungsstücken quasi das ganze Leben unwiederbringlich zu verlieren.

Aber in dieses Lied kann ich nicht mit einstimmen, denn das ist nicht mein Problem. Die Erinnerungen trage ich vor allem im Herzen. Die materiellen Spuren davon wie zum Beispiel Fotoalben, Schallplatten, Urkunden, die verstauben doch eh nur im Regal.

Unserer Nachbarin geht es ganz ähnlich: Sie sieht die Situation als Chance für einen Neubeginn. Sie freut sich darauf, sich mit dem Geld von der Versicherung neu einrichten zu können. Sie ist damit natürlich in einer sehr komfortablen Situation – alle die keine Versicherung haben, können nicht so aus dem Vollen schöpfen wie sie. Dennoch bleibt die Frage: Hängt mein Herz am Vergangenen oder bin ich bereit, mich nach vorne zu wenden. Was ist jetzt wichtig für mich?

Jesus hat das ziemlich radikal formuliert: „Wer die Hand an den Pflug legt und schaut zurück, der taugt nicht für das Reich Gottes.“ Ich stelle mir das bildlich vor, wie die Furchen ganz krumm und kurvig werden, weil der Bauer sich ständig nach hinten umdreht.

Wirklich wichtig, das habe ich im letzten Jahr gelernt, sind für mich andere Menschen: Begegnungen und Gespräche. Wie zum Beispiel mit Daniel und Jacky. Seit März kommen sie fast jedes Wochenende vorbei. Die beiden überwachen die letzte Trocknungsphase bei uns, denn es sind immer noch zwei Kellerwände zu feucht.

Wenn die Arbeit getan ist, sitzen wir mit einer Tasse Kaffee auf der Treppe vor der Eingangstür und erzählen, was wir erlebt haben und wie es uns damit geht. Das tut gut: es ist leicht, einfach, lebendig. Jetzt. Hier. So. Ein bisschen was vom Reich Gottes. Das kann mir niemand nehmen.

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