SWR3 Gedanken

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29JUN2022
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Kurzurlaub in einer kleinen Stadt in Sachsen mit einem berühmten Dom. Klar, schaue ich mir den an. Ich freue mich über die Restaurierung der farbenfrohen Deckenbemalung – sehr lebendig wirkt das. 

Dann geht mein Blick in eine Seitennische, und ich erschrecke: Da liegt einer!
Aber ich habe mich getäuscht: Dort sitzt eine überlebensgroße Marienstatue und hält einen ebenso großen Jesus auf dem Schoß. Den eben vom Kreuz abgenommenen, toten Jesus. Und dieser Jesus hat echte Haare. Lange und wirr hängen sie von seinem leblosen Kopf herunter.

Plötzlich kommt mir diese trauernde Maria mit dem toten Jesus ganz nah. Obwohl es eindeutig ein frommes Andachtswerk vergangener Zeiten ist. Beide Figuren sind aus Holz und tragen die Spuren der Jahrhunderte. Das aufgemalte Blut an dem toten Jesus ist beinahe verblasst. Aber seine Haare sind echt.

So echt wie die so vieler junger Menschen, die in unserer Zeit getötet werden. So echt, wie deren leblose Körper, um die Mütter und Väter oder Kinder die Arme schlingen und nicht fassen können, dass dieser Mensch tot ist.

Die Welt hat sich nicht so sehr verändert seit ein Künstler vor fünfhundert Jahren die Holzskulptur mit dem Echthaarjesus geschaffen hat. Wie traurig. Und gleichzeitig gilt ebenso unverändert: Weil dieser eine gestorben und auferstanden ist, steht allen ein anderes Leben offen. Leid, Gewalt und Tod haben dort keine Macht mehr.

Daran glaube ich. Und deshalb will ich so leben, dass schon im Hier und Jetzt etwas davon sichtbar und spürbar wird. Damit das Andachtsbild aus dem Freiberger Dom irgendwann wirklich einfach vergangene Zeiten zeigt.

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