SWR3 Gedanken

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25JUN2022
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Beim Wandern komm ich an einer Burgruine vorbei. In dem alten Gemäuer entdecke ich eine Schrift, tief in den Stein eingraviert. Da steht: Wir waren hier. Ferdinand + Luisa 1803. Mir läuft es kalt den Buckel runter: Vor über zwei Jahrhunderten haben sich die zwei hier im Stein verewigt. Ein in Stein gehauenes Souvenir für die Nachwelt, das den Jahrhunderten trotzt.

Welche Spuren hinterlasse ich eigentlich? Da gibt’s natürlich meinen CO2-Abdruck; aber bestimmt hinterlasse ich auch die eine oder andere Erinnerung bei meinen Leuten. Vielleicht auch meine DNA durch meine Kinder und Kindeskinder, vielleicht auch ein lustiger Spruch oder ein selbstgeschriebenes Liedchen. Was genau bleiben wird, weiß ich nicht. Wovon ich aber wirklich ein Lied singen kann, ist wie sich andere Menschen in meinem Leben „eingraviert“ haben. Leute, die mein Leben voll verändert haben. Zum Beispiel hat mich mein zweijähriger Neffe von meiner Appetitlosigkeit geheilt; nur weil ich ihm oft dabei zugesehen habe, wie er alles auf seinem Teller - von knackig bis wachsweich - total neugierig verschlungen hat. Oder der alte Freund meiner Oma, der mir durch seine gelassene, zufriedene Art die Angst vor dem Altwerden genommen hat. Was bleibt von mir nach 200 Jahren?

Mein Name steht bis jetzt noch nicht so wie der von Luisa und Ferdinand irgendwo eingeritzt. Trotzdem werde ich nicht vergessen sein. Ich glaube nämlich, dass es einen im Universum gibt, der mich gemacht hat. Und der Eine sagt: „Selbst wenn dich deine Familie vergisst, ich vergesse dich nie.“ Dann sagt Gott weiter: „Ich kann gar nicht anders, denn ich habe deinen Namen in meine Hand geschrieben. Du bist bei mir eingraviert!“

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