Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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11MAI2022
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„Wir knüpfen ein neues Netz, verbinden was für Frieden ist.“ Als Kind habe ich dieses Lied gesungen. Im Kindergottesdienst. Friedensnetz heißt es. Daran denke ich in den letzten Monaten oft. Denn immer noch herrscht Krieg und ich muss lernen was das bedeutet. Die Welt verändert sich und auch meine Gewissheiten aus Kindertagen.

Damals habe ich an dieses Lied geglaubt. Daran, dass alle Welt gemeinsam an diesem Friedensnetz knüpft. Und daran, dass das Netz stark ist. Ich habe mich in Sicherheit gewogen. Weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass irgendjemand Krieg für eine gute Lösung hält. Ich habe geglaubt, die Menschen würden in Zukunft in Klimaschutz investieren, in Bildung und Gesundheit. Ich habe geglaubt Tapferkeit sei ein Wort für den Besuch beim Zahnarzt und Kampfgeist ein Wort für Sportveranstaltungen. Ich habe mich getäuscht.

Jetzt lese ich: Milliarden sollen in die Rüstung investiert werden. Und der Journalist in meiner Tageszeitung lobt die Tapferkeit der Kämpfer und Kämpferinnen in der Ukraine und Ihren unerschütterlichen Kampfgeist. Einer schreibt sogar von Blut und Boden – mit großem Ernst.

Ich habe gelernt: Der Frieden ist ein hauchdünnes Netz. Und es ist zerrissen. Und darunter haben die Worte - hat die Welt eine neue Ordnung. Oder doch nur wieder die alte.

Und ich frage mich: würde ich nicht auch kämpfen, wenn ich angegriffen werde? Und würde ich mir nicht alle mögliche Unterstützung wünschen? Ist es Zeit den Kinderglauben einzutauschen gegen die scharfe Logik des Krieges. Jesus ist zwar ziemlich eindeutig, wenn er sagt: selig sind die Friedfertigen, denn sie sollen Gottes Kinder heißen. Und trotzdem ist für mich nichts mehr eindeutig: Vielleicht ist es manchmal nötig das eigene Seelenheil hintanzustellen, um die zu beschützen, die angegriffen werden?

Ich kann das nicht beantworten. Ich spüre nur, da ist eine große Sehnsucht in mir: dass wir die Fäden des Netzes wiederfinden, festhalten, neuverweben. Dass nicht alles verloren ist, was im Frieden wichtig war. Ich hoffe, dass wir ein neues Netz knüpfen – stärker, größer. Mit Gottes Hilfe. Und den Glauben an den Frieden nicht aufgeben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35373
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