SWR3 Gedanken

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14MAI2022
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Es gibt Sätze, die gehen runter wie Öl. Michael hat mir so einen Satz gesagt. Der klingt ein bisschen wie eine Liebeserklärung, obwohl Michael nur ein Freund ist. Er hat zu meinem Mann und mir gesagt: „Es ist so schön, dass wir gleichzeitig leben.“

Klingt vielleicht erstmal merkwürdig, ich hab das vorher auch noch nie so gehört: „Schön, dass wir gleichzeitig leben.“ Aber eigentlich ein guter Gedanke. Es wäre doch schade, wenn zum Beispiel mein Mann erst eine oder zwei Generationen nach mir auf die Welt gekommen wäre oder wenn ich meine beste Freundin nie kennengelernt hätte, weil sie fünfzig oder hundert Jahre vor mir gelebt hat.

Es ist wunderbar, wenn man Leute um sich hat, die einem gut tun. Ich finde aber auch den Gedanken schön, dass es schon vor mir bestimmt Menschen gegeben hat, mit denen ich mich super verstanden hätte. Oder dass es in zweihundert Jahren sicher wieder genau diejenigen geben wird, die voll auf meiner Wellenlänge liegen würden.

Michael ist Christ, so wie ich auch. Deswegen schwingt für uns in diesem Satz vom „gleichzeitig leben“ noch was anderes mit. Wir hoffen darauf, dass, wenn wir mal gestorben sind, noch ganz andere Zeitschienen für uns aufgehen. Das ist nicht immer leicht zu glauben, aber ich halte daran fest. Denn es gibt viel zu viele die mit ihrer Zeit auf der Welt kein Glück hatten. Sie hatten vielleicht viel zu wenig Zeit oder die, die mit ihnen gleichzeitig gelebt haben, haben sie schlecht behandelt. Ich hoffe, dass Gott am Ende allen, ganz viel gute und neue Zeit ermöglicht.

Bis dahin sind Michael, mein Mann und ich einfach dankbar, dass wir eine Zeit lang gleichzeitig leben.

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