SWR2 Wort zum Tag

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25FEB2021
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Fasten oder lieber doch nicht? Das habe ich dieses Jahr erst spät entschieden. Eigentlich war ich mir sicher: Ich faste nicht. Verzicht um des Verzichts willen liegt mir nicht.

Damit wusste ich mich in gut evangelischer Tradition. Schließlich war das so genannte Froschauer Wurstessen 1522 ja nicht ohne Grund der Startschuss für die Reformation in der Schweiz. Zwingli selbst war anwesend, als im Hause eines Buchdruckers am ersten Sonntag der Fastenzeit demonstrativ Wurst gegessen wurde. Im Anschluss daran schrieb Zwingli seine erste reformatorische Schrift, in der er das Fastenbrechen im Namen der christlichen Freiheit rechtfertigte. Freiheit des Glaubens statt einengender Fastenordnung!

Zugegeben: Die Situation heute ist anders. Mir schreibt niemand mehr vor, dass ich zu fasten habe. Gleichzeitig gibt es einen Fastenboom: Zu „sieben Wochen ohne“ ruft die evangelische Kirche auf. Klimafasten ist in und in einer Doku, die „Fasten und Heilen“ heißt, lerne ich: Fasten beuge Krankheiten vor und helfe gegen alles Mögliche.

Aber noch mehr Verzicht – und dann auch noch ohne wirklich religiösen Grund? Doch nicht in einer Zeit, in der ich ohnehin auf so vieles verzichten muss! Darüber, was Spaß macht und was nicht, denke ich in Pandemiezeiten ja schon kaum mehr nach.

Eigentlich war die Sache also entschieden…

Bis ich genüsslich mit einer Tasse Kaffee und ein paar Schokokeksen auf dem Sofa saß. Ich griff zu einem Buch, das ich lange schon lesen wollte: „Unverfügbarkeit“ von Hartmut Rosa. Vom Stummwerden der Welt las ich da, weil uns alles zu jeder Zeit verfügbar sei, und wie uns dadurch die Lebendigkeit abhandenkomme. Lebendig zu sein, setze nämlich Resonanz voraus, bei der ich mich von den Dingen, die mir begegnen, berühren lasse, selbst aktiv darauf antworte und dadurch verändert werde.

Beim Lesen musste ich immer wieder an das denken, was mir andere vom Fasten erzählt hatten: Wieviel intensiver die Welt dann schmeckt und riecht und sich anfühlt. Fasten nicht um der Entsagung, sondern um der Lebendigkeit willen, Fasten als Weg zu einer lebendigeren Beziehung zu den Dingen, zu anderen Menschen – und wer weiß – vielleicht ja auch zu Gott?

Während ich noch darüber nachdachte, stellte ich den leeren Keksteller in die Spüle: Hatte ich die wirklich alle gerade gegessen? Gar nicht bemerkt.

Aus meinem entschiedenen Nein zum Verzicht wurde ein neugieriges Ja zu mehr Genuss und mehr Lebendigkeit: So faste ich also in diesem Jahr, auch wenn der Plan ganz anders war.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32660
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