SWR3 Gedanken

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02APR2020
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Also der kommt echt authentisch rüber. Mein Kollege sagte das kürzlich über einen Mann, den wir beide kennen. Authentisch. Das Wort hör ich immer wieder, wenn es um Menschen geht. Und immer ist das besonders positiv gemeint. Der ist authentisch. Das heißt so viel wie: Der verstellt sich nicht. Der spielt mir nichts vor. Der ist einfach so, von Natur aus. Religiös könnte man auch sagen: Der ist genau so, wie Gott ihn geschaffen hat. Ich frage mich nur immer öfter, ob das wirklich so gut ist. Denn die meisten von uns haben ja im Lauf des Lebens auch was gelernt und eintrainiert. Kultur. Dazu gehört für mich auch die Religion. Dass ich rücksichtsvoll sein sollte und höflich dem anderen gegenüber. Auch wenn‘s mir gerade mal gegen den Strich geht. Dass ich mich solidarisch verhalte, damit möglichst alle genug zum Leben haben. Dass ich mich auch freiwillig mal zurücknehme, selbst wenn es mir schwerfällt. Damit auch der Schwächere neben mir zu seinem Recht kommt. Zwar nicht alles, aber doch ziemlich viel davon ist erlernte Kultur. Und ich finde es eben gar nicht toll, wenn mich einer vielleicht ganz authentisch, aber dafür primitiv anpöbelt.

Vielleicht kommt in diesen Tagen, in denen wir alle ziemlich unter Stress stehen, ja mehr als sonst davon zum Vorschein, wie wir wirklich sind. Ziemlich verschieden nämlich. Selbstlos und hilfsbereit der eine, eher rücksichtslos und vor allem auf sich bedacht der andere. Das ist und war schon immer so. Umso mehr hoffe ich und wünsche mir, dass wir bei allem Stress gemeinsam authentisch und dennoch kultiviert durch diese Zeit kommen.

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