SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Was haben Glauben und Zweifeln miteinander zu tun? Auf den ersten Blick könnte man sagen: gar nichts. Beide schließen einander aus. Entweder ich glaube oder ich zweifle. Dagegen fällt mir die schöne Geschichte ein: von dem Juden, von dem alle in seinem Dorf wissen, dass er nicht an Gott glaubt. Eines Tages sieht ihn sein Nachbar aber in der Synagoge. „Du glaubst doch nicht an Gott“, sagt er. ‚Wieso sehe ich dich hier?“ „Ja“, ist die schlichte Antwort, „weiß ich denn, ob ich Recht habe?“

Eine schöne Geschichte, wie ich finde. Der Ungläubige lässt den Zweifel an seinem Unglauben zu. Und der Gläubige sollte es auch tun. Und Fragen an seinen Glauben zulassen. Denn es geht beim Glauben ja nicht um ein objektives Wissen, das unerschütterlich ist. Wie etwa in der Naturwissenschaft. Und selbst da sind schon ganze Systeme zerbrochen. Es geht beim Glauben um ein Vertrauen, das verletzlich ist. Um eine Beziehung, die sich immer wieder neu bewähren werden muss.

Allerdings: gar nicht so anders wie die Naturwissenschaften lebt auch der Glaube von Erfahrungen. Von Lebenserfahrungen. Mein Glaube hat sich bewährt, als es mir schlecht ging. Aber auch als ich glücklich war. Er hat mir geholfen, etwas auszudrücken, was über meinen Verstand ging. Er hat mir eine Sprache geschenkt, die mich Worte finden ließ, als es mir die Sprache verschlug. Er ist die Lesehilfe, mit der ich meinen Alltag deuten und verstehen kann.

Aber ich darf den Glauben nicht zu meinem Besitz erklären. Nicht zum Instrument, um Recht zu behalten. Denn im Glauben habe ich es mit Gott zu tun. Gott entzieht sich allen fixierten Vorstellungen. Auch denen, die ich mir selber gerne mache.

Davon erzählt die biblische Geschichte vom goldenen Kalb. Eines Tages wollen die Israeliten nicht mehr dem unsichtbaren Gott folgen. Sondern sich lieber ein Goldenes Kalb machen, das sie anbeten konnten. Das erschien ihnen konkreter, griffiger. In den zehn Geboten heißt es darum: Du sollst dir kein Bildnis machen! Weder von Gott noch von Menschen. Du sollst das Lebendige nicht in feste Formen gießen.

Der Zweifel an allen Gottesbildern und fixierten Vorstellungen ist seitdem in den zehn Geboten festgeschrieben. Es ist ein Gebot, das meinen Glauben lebendig hält. Im Fluss. Und das mich immer neu inspiriert, hinter allen Bildern nach der Wahrheit zu suchen.     

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24655
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