SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

„Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand." Seit Margot Kässmann bei ihren Rücktritt diesen Satz gesagt hat, ist er in aller Munde. Immer wieder wird er zitiert. Und auch wenn er ganz einfach klingt - anscheinend ist dieser Satz gar nicht so leicht zu verstehen.
Wenn Gott mein Leben wirklich in der Hand hält - warum lässt er mich dann erst fallen? Das könnte man ja fragen. Und manche halten einem entgegen: Wenn ein Mensch erst gefallen ist - sich verstrickt hat in eine schlimme Geschichte oder in schweres Leid verwickelt worden ist - dann merkt er nichts mehr von Gott. Dann scheint Gott ganz weit weg. Solche Erfahrungen können einem viele erzählen.
„Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand." Vor einiger Zeit habe ich in einem Cafe am Nebentisch zwei Frauen reden hören. Und ihr Gespräch endete genau bei diesem Satz.
Die Berichte über die Bischöfin Kässmann hätten ihr Interesse am Glauben geweckt, hat die eine gesagt. Sie finde deren Ausstrahlung sehr sympathisch und gewinnend. Als Geistliche wäre sie irgendwie so normal geblieben - auch in all ihren Herausforderungen. Und schwierige Situationen habe diese Frau in den letzten Jahren ja doch einige bestehen müssen: Zuerst ihre Krebserkrankung. Die habe Kässmann bewusst öffentlich gemacht, um anderen, die krank oder schwach sind, Mut zu schenken. Dann die Trennung von ihrem Mann und wie sie allein durchmusste mit ihren vier Töchtern.
Schließlich wurde sie ins höchste Amt der evangelischen Christen in Deutschland gewählt. Und dann kam der Skandal mit der nächtlichen Alkoholfahrt. Aber, und das bewundere sie an Kässmann, sagte die ältere der beiden Frauen, Kässmann klebte nicht an ihrem Amt, sondern habe sich der Verantwortung gestellt und alle ihre Leitungsaufgaben niedergelegt. Sie finde das konsequent und gut. Deshalb habe sie sich nun auch „Mitten im Leben", das Buch von Margot Kässmann, gekauft und mit großem Interesse gelesen.
Nur etwas verstehe sie nicht, hat damals die Frau gesagt. Dabei sei es eigentlich sehr wichtig. Diesen Satz, den Kässmann mehrfach in schwierigen Situationen gesagt habe: „Ich kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand."
Gerne hätte ich mich jetzt vom Nebentisch aus eingemischt und gesagt: Vielleicht hängt es an unserem Gottesbild. Vielleicht sind unsere Vorstellungen von Gott oft viel zu nebulös, als ob er weit weg wäre und sich wenig kümmere. Vielleicht tun wir uns auch schwer mit der Vorstellung, Gott ist gerade jetzt da für uns, weil konkrete Erfahrungen fehlen. Oder weil wir solche Erlebnisse einfach für einen glücklichen Zufall halten.
Aber ich habe mich dann doch nicht in das Gespräch eingeschaltet. Nicht nur, weil das sehr indiskret gewesen wäre, sondern weil ich gemerkt habe, dass Gott auf seine ganz eigene Art schon längst zu den beiden Frauen spricht.

 

Vielen fällt es schwer, sich Gott vorzustellen. Vielleicht kann man das auch nicht wirklich - auf jeden Fall nicht umfassend. Aber man kann erfahren, wie Gott handelt und dass er für seine Menschen sorgt. Auch dann, wenn es ihnen nicht so gut geht.
„Mir gibt es Trost zu wissen, dass man nie tiefer fallen kann, als in Gottes Hand." So hat es Margot Kässman bei ihrem Rücktritt ausgedrückt. Gott ist also einer, der seine bergenden und liebenden Hände längst ausgestreckt hat und die, die fallen, auffängt.
Jesus hat dazu einmal folgende Geschichte erzählt: Ein Vater hatte zwei Söhne. Der jüngere von beiden verlangte, dass ihm sein Erbe vorzeitig zugeteilt wird. Kurze Zeit danach sammelte der Jüngere alles zusammen und zog ins Ausland. Dort geriet er auf die schiefe Bahn und sein Vermögen ging verloren. Da brach in diesem Land eine große Hungersnot aus. Um nicht zu verhungern, suchte der junge Mann Arbeit bei einem Bürger dieses Landes. Der schickte ihn zum Schweinehüten. Doch es kam noch schlimmer. Sein Hunger war so groß, dass er sogar gerne die Futterschoten der Schweine gegessen hätte, um sich den Bauch zu füllen, aber man gab sie ihm nicht.
Da besann er sich. Selbst die Tagelöhner bei seinem Vater zuhause hatten es weit besser als er hier. Sie hatten genug zu essen, während er schrecklichen Hunger litt.
Deshalb beschloss er, nach Hause zurückzukehren. Mit dem Vater wollte er sich aussprechen, ja gestehen, dass alles schief gegangen war.
Aber als er nach Hause kam, sah ihn der Vater schon von weitem. Der Anblick des gescheiterten Sohnes ging ihm zu Herzen. So lief er ihm schnell entgegen und umarmte ihn. Als der Sohn dann sein Versagen und seine Schuld eingestand, ging der Vater überhaupt nicht darauf ein. Ganz im Gegenteil. Er gab ihm neue Kleider, dazu einen Ring und neue Schuhe und ließ ein großes Fest feiern.
Seine Begründung: Mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist gefunden worden.
Und Jesus meinte damit: So ist Gott, Wie dieser Vater, dessen vorausschauende und fürsorgliche Liebe nie aufgehört hat. Sein helles Licht der Vergebung überstrahlt meine dunkle Vergangenheit.
Da wird mein Versagen nicht klein geredet, aber im Nachhinein gesehen zeigt sich vielleicht gerade an solchen Stellen Gottes überraschend großen Nähe und Liebe.
Ja, so ist Gott, wie Jesus ihn uns gezeigt hat. Er ist einer, der Ausschau hält, der den Sünder umarmt und die Sünde vergibt. Er versieht ein Leben - mitten im Leben - mit neuen Vorzeichen.
Und er ist gerade dann nahe mit seiner Liebe und Fürsorge, wenn ich vielleicht schon nicht mehr damit rechne.
Diese fürsorgliche Liebe und den Segen des himmlischen Vaters wünsche ich uns allen für diesen Sonntag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9398
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