SWR1 Begegnungen

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Einen schönen Sonntagmorgen wünscht Ihnen Roland Spur von der Evangelischen Kirche. Heute, am letzten Tag des Kalenderjahres möchte ich Ihnen Krischan Johannsen vorstellen.

Und das ist sein Zeichen, so klingt sein Telefon: Krischan Johannsen ist einer der Leiter der Telefonseelsorge in Stuttgart. Da rufen Menschen an, die sich mit Sorgen und Nöten quälen – auch mit Fragen in ihrem Glauben.

Das find ich auch wirklich „Seel-Sorge“, dann nicht zu fragen: Welch Regel es gibt? Sondern: Was will Deine Seele? Und wie geht’s Dir von Deinem Glauben her mit der Frage, mit der Du da umgehst?
Und da machen wir schon eine feine Trennung zwischen: Wie geht’s Dir von dem her, wie Du persönlich zu Gott stehst, und der Überlegung: Was hast Du gelernt? An Regeln. Und das ist manchmal schon ganz spannend für die Menschen und sehr befreiend zu merken, ich hab’ so meine Beziehung zu Gott, und ich muss mein Tun vor ihm verantworten. Und nicht vor der Nachbarin


Teil 1
Was lässt sich aus seiner Erfahrung über die Anrufe am Jahresende sagen, frage ich Krischan Johannsen in seinem Büro bei der Evangelischen Gesellschaft im Herzen Stuttgarts. Gibt es da besondere Anrufe?

Die Anrufe, die wir bekommen an Silvester und Neujahr, die sind zur Hälfte auch die Anrufe, die wir auch an jedem anderen Tag haben könnten: es gibt ’ne akute Familienkrise, es gibt ’ne Trennung, es gibt Krach, es gibt Angst vor Arbeitslosigkeit – das kennen wir. Was dazu kommt an solchen Tagen, ist dieses »So, jetzt ist wieder ein Jahr vorbei, und ich hab’s wieder nicht geschafft. Und: Wie werde ich’s im nächsten Jahr schaffen?«

Jahreswechsel als niederschmetterndes Datum, Bilanz an Silvester negativ. Kommt das von den guten Vorsätzen, mit denen bekanntlich der Weg in die Hölle gepflastert ist? Und wenn das so ist – was ist das für eine innere „Hölle“?

Also Wieder-nicht-geschafft ist so was wie: Mich begleitet ein Problem schon ganz lange, ich krieg das mit meinem Lebenspartner oder mit meiner Lebenspartnerin einfach nicht auf die Reihe, und jetzt ist wieder ein Jahr rum! Und ich hab es nicht geschafft. Oder: ich lebe schon sehr lange in sehr unangenehmen Wohnverhältnissen, die Nachbarn sind laut, oder es gibt Krach mit den Nachbarn, oder: Ich bin schon ganz schön lange arm, und ich komm da einfach nicht raus. Oder mich begleitet schon seit Jahren eine Depression, und ich hab’s wieder nicht geschafft, obwohl ich mir das jedes Jahr vornehme, aus meiner Depression rauszukommen. Und da ist so der Jahreswechsel einfach so ’ne Zeit, wo die Leute sagen: „Wieder nicht geschafft!“ und „Ich kann’s nicht!“ und das ist so ein schlimmer Gedanke: „Ich kann es nicht!“ Und: „Ich habe richtig Angst vor Mitternacht heut’ Nacht, weil da geht’s ja wieder neu los! Und werde ich’s nächstes Jahr schaffen?“

Und dann ruft man nachts an, schüttet sein Herz aus und will einen Rat.
Bekommt man den bei der Telefonseelsorge?

Ja den gibt’s bei uns nicht wirklich, diesen Rat. Was wir tun – und das finde ich eigentlich wichtiger als einen Rat zu geben – ist, dass wir miteinander gucken, was denn wirklich so schlimm ist. Was genau ist denn nicht geschafft worden? Was genau war denn so schrecklich? Und wovor hab ich denn Angst, dass es weitergeht im nächsten Jahr? Und da hilft mir persönlich so ein Gedanke von Meister Eckart, also siebenhundert, achthundert Jahre alt beinahe! Der Meister Eckart hat gesagt: »Egal, wie viel Du verlierst, es gibt immer etwas, was Du behältst. Und schau in einer Notsituation mal darauf! Für mich ist das ein ganz moderner Gedanke, dass ich also gucke, egal, wie schrecklich es ist, was eigentlich bleibt.

Was bleibt an Lebensqualität, an sozialem Netz um einen rum, selbst wenn das ganz dünn ist. Aber es gibt Leute, die da sind – und wenn es die Telefonseelsorge ist, die man einmal in der Woche anruft. Dieses Finden von Ressourcen, das ist ’ne spannende Geschichte. Und kein Vertrösten. Sondern Trost, wirklicher Trost. Der kommt meist nicht aus weisen Sprüchen oder frommen Ansprachen, sondern das wächst im Gespräch. Wie ist es bei uns, wie geht es bei uns zu: sind wir bei Trost?

Teil 2
Die Telefonseelsorge in Stuttgart ist für 2½ Millionen Menschen zuständig und ihre Arbeit wächst. Um den Jahreswechsel rufen mehr Menschen als sonst bei der Telefonseelsorge an. Zum Beispiel mit der Frage: »Wie werde ich’s im nächsten Jahr schaffen?« Diese Sorge kennt auch die Telefonseelsorge selbst. Nachdem ihr das Land seine Zuschüsse gestrichen hat. ist sie immer mehr auf Spenden angewiesen. Dabei spendet sie selbst doch auch: nämlich Trost. Aber was ist das eigentlich, Trost?

Ich glaube manchmal, das ist die tiefste Sehnsucht vieler Menschen, die hier anrufen, dass sie getröstet werden wollen. Und wenn ich mir überlege, was bedeutet Trost eigentlich, dann heißt das, das, was ich erleide, wird endlich mal anerkannt, das darf mal sein, das wird mir nicht kleingeredet. Das, was ich dazu fühle, wird endlich mal anerkannt. Und das wird anerkannt und das darf ausgesprochen werden, was mir fehlt. Und oft sind das solche Sachen wie: „Ich möchte endlich mal gesehen werden.“ „Ich möchte Sicherheit erleben in meinem Leben.“ „Ich möchte endlich mal geborgen sein.“ „Ich möchte erleben, dass jemand Zeit hat für mich!“ „Ich möchte Respekt erleben.“

Sind wir bei Trost? Das meine ich auch politisch. Denn inneres und äußeres Leben lassen sich ja nicht trennen. Wie wird bei uns das Leben geregelt, wo werden Gelder eingesetzt und Strukturen verändert? Das weiß man bei der Telefonseelsorge und spendet Trost.

Es ist unglaublich und oft für mich erschütternd, wie viele Menschen, wie viele Ehefrauen, wie viele Ehemänner, wie viele Kinder immer und immer wieder die Erfahrung machen: „Ich werde nicht respektiert!“ Viele Hartz IV-Empfänger leben von morgens bis abends und jeden Tag neu mit der Erfahrung „Ich werde nicht respektiert!“ Und das zu erleben bei uns, bei der Telefonseelsorge, das ist schon mal Trost.
Und der zweite Schritt dann daraus ist, ja, wenn ich dann die Erfahrung mache, ich darf sprechen, und es darf alles mal benannt werden, und die Telefonseelsorgerin oder der Telefonseelsorger hilft mir auch, das auszusprechen, was schrecklich ist. Oder aber auch was die Sehnsucht ist und was fehlt.
Und dann entsteht da ganz erstaunlich, ohne dass wir irgendwelche Ratschläge geben, so ’ne Hoffnung und ’ne Idee, nächstes Jahr mach’ ich’s dann mal so. Oder ich geh’ einfach mit ’ner andern Einstellung in dieses nächste Jahr, und ich weiß, ich kann auch wieder anrufen.


So zu sprechen, kostet Kraft. Aber woher nehmen sie die? Wer tröstet eigentlich die Tröster? Bekommen die Mitarbeiter bei der Telefonseelsorge so etwas wie ein Echo?

Das kommt durchaus auch vor, dass Menschen anrufen nach ’ner Zeit und sagen: „Damals haben Sie mir sehr geholfen, ich war drauf und dran, mich umzubringen, und das Gespräch in der Nacht hat mir einfach geholfen, den nächsten noch zu überleben und dann ging’s eigentlich.“ Oder „ein Gespräch mit Ihnen hat mich dazu gebracht, endlich ’ne Entziehungskur zu machen.“ Also so was kommt schon vor.

An Feiertagen nachts in der Telefonseelsorge arbeiten, so wie heute Nacht, wenn viele feiern – ist das ein „saurer Dienst“?

Die meisten Leute, die an solchen Feiertagen – Heiligabend, Weihnachten, Silvester – Dienst machen, die tragen sich für solche Dienste schon ein halbes Jahr vorher ein, weil sie sagen: „Das sind für mich so ganz besondere Nächte! Und das ist mir wichtig, dass ich genau in der Nacht Dienst mache, weil ich wirklich gerne da sein möchte, wenn’s jetzt Menschen schwer fällt, vom alten in das neue Jahr zu gehen.“ Und die dann auch so sagen: „Ich möchte Menschen helfen, dass sie nicht die Not aus dem alten ins neue Jahr quasi schon wieder rüber werfen! Damit sie ihnen dann dort wieder begegnet, sondern dass sie einfach das Alte liegen lassen können, zurücklassen können und mit leichterem Herzen ins Neue gehen.“ Und das finde ich toll. https://www.kirche-im-swr.de/?m=449
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