SWR3 Gedanken

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„Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug“. Nein, das ist kein Satz eines Fallschirmspringers. Dieser Satz steht auf dem Grabstein der Dichterin Hilde Domin. Wie wunderbar widersprüchlich. Die Schwerelosigkeit dieses Satzes auf einem gewichtigen Grabstein. Das Luftige und Erdenschwere so verbunden miteinander. Das tut gerade auf einem Grabstein so gut, der so schwer aussieht wie der Tod endgültig ist. Aber die Hoffnung, die darüber hinausgeht, die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ist so leicht und schwerelos, dass kein Grabstein und keine Trauer sie halten kann. „Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug“- dieser wunderbare Satz macht aber nicht nur auf Friedhöfen Sinn. Nein, auch und gerade draußen, außerhalb von Friedhöfen, geschieht das, was er beschreibt. Dass ich getragen werde, bei allem Risiko. Allen voran in der Liebe: wenn ich aus mir heraustrete und eintrete in den Lebensraum eines anderen Menschen. Wenn ich es wage mich zu verlieren, mich fallen zu lassen und dann das Glück habe, nicht zu stürzen und aufzuprallen am Boden der harten Realität, sondern aufgefangen werde und schweben darf, schwerelos. Oder wenn ich mein Leben ändere, mich von jemandem oder etwas trenne, was Neues beginne, etwas wage. Auch dann setze ich einen Fuß in die Luft und erfahre erst später ob sie trägt. Oder wenn ich eine Therapie beginne, an Leib oder Seele, auch dann begebe ich mich in einen offenen Raum von dem ich nicht weiß, ob er mich heilen wird, halten oder erhalten wird. Genau da sind Menschen so wichtig. Um diesen wunderbaren unsichtbaren Lebensstoff zu bieten, der trägt und hält. Und wenn auch der nicht mehr hilft oder in dieser Welt nicht mehr möglich ist, dann bleibt noch die Hoffnung auf jene, in die ich dann getragen werde. Und getragen bin. Für immer.         

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